Wie Kim lernte, die Bombe zu lieben"Nordkorea wird seine Atombomben niemals aufgeben"

Peking. 1964, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, erteilte der Regisseur Stanley Kubrick der Welt eine Lektion in Galgenhumor. Sein Film "Dr

Peking. 1964, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, erteilte der Regisseur Stanley Kubrick der Welt eine Lektion in Galgenhumor. Sein Film "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" wurde über Nacht zum Referenzwerk über den Wahnsinn des atomaren Kräftemessens, wobei vielen Kinobesuchern bewusst war, dass die Satire in gewisser Hinsicht mehr über die Wirklichkeit verriet als alle Zeitungsberichte.

Nordkoreas Diktator Kim Jong Il und Dr. Seltsam haben einiges gemeinsam: Das bizarre Auftreten und der abstruse Erlöserkult des "Geliebten Führers" können es mit jeder Film-erfindung aufnehmen. Doch Kim ist hier und jetzt, und anders als Dr. Seltsam ist er kein irres Genie, sondern ein skrupelloser Machtstratege, der ein Volk von 24 Millionen Menschen als Geisel hält, um das Überleben seines ausbeuterischen Regimes zu sichern. Mit seinem zweiten Atombombentest hat er nun demonstriert, dass er ernst genommen werden will - ernst genommen als Bedrohung. Etwas anderes hat er nicht zu bieten, weder der Welt, noch seinem eigenen Volk.

Doppelte Provokation

Kim Jong Il hat die Welt gleich doppelt provoziert: Dem Atombombentest folgte der Start von drei Kurzstreckenraketen. Pjöngjangs offizielle Nachrichtenagentur KCNA bezeichnete den unterirdischen Nukleartest als Erfolg. Er sei "Teil der Maßnahmen, die abschreckende atomare Selbstverteidigung in jeder Weise zu stärken", hieß es in der Meldung. Der Test inspiriere die Armee und das Volk und intensiviere die revolutionären Bemühungen, so der Propaganda-Text weiter. Bei den Raketen soll es sich nach Angaben der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap um Boden-Luft-Raketen mit einer Reichweite von 130 Kilometern gehandelt haben, die von der Basis Musudan Ri aus ins Meer geschossen wurden.

Geologen verschiedener Länder bestätigten, dass in einer Bergregion im Nordosten des Landes eine Erschütterung gemessen worden sei, die auf einen Atomtest schließen lasse. US-Forscher registrierten ein Beben der Stärke 4,7 auf der Richterskala in einer Tiefe von zehn Kilometern. Südkoreanische Seismologen ermittelten für die Erdstöße einen Wert von 4,5. Russische und deutsche Experten erklärten, die Erschütterungen entsprächen einer Detonation von zehn Kilotonnen TNT und seien damit weitaus stärker als bei Nordkoreas erstem Test im Oktober 2006.

Damals waren westliche Experten zu dem Schluss gekommen, dass die Explosion nur ein Teilerfolg gewesen sei und womöglich der Zündmechanismus nicht funktioniert habe. Dennoch konnte Kim Jong Il danach einen gewaltigen Erfolg verbuchen: Er handelte im Rahmen der Pekinger Sechs-Parteien-Gespräche mit China, USA, Südkorea, Japan und Russland eine Rekordentschädigung für das Versprechen aus, sich auf den Weg der Abrüstung zu begeben. Dass er diesen nicht weit gehen würde, war abzusehen.

Auf den jüngsten Test reagierte die Weltöffentlichkeit höchst alarmiert. Der UN-Sicherheitsrat kam gestern zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Japans Vize-Außenminister Mitoji Yabunaka hatte als Erster zu einem solchen Treffen aufgerufen und gefordert, Nordkoreas Verhalten scharf zu verurteilen. Eine Resolution aus dem Jahr 2006, mit der die Staatengemeinschaft auf Nordkoreas ersten Atombombentest reagiert hatte, verbietet dem Land alle Versuche mit Nuklearwaffen und ballistischen Raketen.

Südkoreas Präsident Lee Myung Bak rief ebenfalls sein Sicherheitskabinett zusammen. Seouls Generalstab richtete einen Krisenstab ein und ließ erklären, für den Atomtest gebe es zwar keine offizielle Bestätigung, er sei aber sehr wahrscheinlich. Die Truppen an der innerkoreanischen Grenze wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Mit den Tests macht Pjöngjang seine Mitte April ausgesprochene Drohung wahr, das 2007 im Rahmen der Sechs-Parteiengespräche vereinbarte Abrüstungsabkommen aufzukündigen und sein Nuklearprogramm wieder aufzunehmen.

Inwiefern Kim Jong Il mit dem zweiten Test seinem Ziel, eine ernstzunehmende Nuklearmacht mit jederzeit einsetzbarem Zerstörungspotential zu werden, näher gekommen ist, werden Spezialisten in den kommenden Tagen zu ermitteln versuchen.

In jedem Fall muss die Welt den schlimmstmöglichen Fall annehmen. Dieser besteht nicht nur darin, dass Kim seine Bombe eines Tages selbst einsetzen könnte. Weitaus dramatischer wäre die Gefahr, wenn Nordkorea seine Atomwaffen an andere Länder oder Organisationen weitergeben würde. Denn dass Kontakte zu Terrorkreisen existieren, gilt inwischen als gesichert.

Herr Professor Lankov, hat Nordkorea Sie überrascht?

Lankov: Überhaupt nicht. Ein zweiter Nukleartest war absehbar. Was mich allerdings etwas wundert, ist der Zeitpunkt. Ich hatte erst Ende des Jahres damit gerechnet. Aber Kim Jong Il hatte es offensichtlich eilig, und dass er gleich auch Raketen hinterher geschossen hat, zeigt, dass er einen maximalen Effekt erzielen wollte.

Bei wem?

Lankov: In erster Linie bei den USA. Kim will die neue Regierung davor warnen, ihn unter Druck zu setzen. Seine Botschaft lautet: Ich bin hier und ich bin gefährlich.

Der Test ist also ein rein politisches Manöver?

Lankov: Es gibt auch einen technischen Grund für den Test: Nordkoreas erste Nuklearexplosion im Oktober 2006 war kein voller Erfolg. Man konnte damals feststellen, dass die Sprengkraft nicht so groß war, wie sie hätte sein müssen, womöglich weil die Zündung nicht richtig funktionierte.

Was will Kim erreichen?

Lankov: Kim will Geld, und er will seine Ruhe. Und er weiß genau, was er tut. Wenn es läuft wie immer, dann werden die Nordkoreaner bald für einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag - zahlbar in Öl, Hilfslieferungen oder Bargeld - wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren. Dann redet man ein paar Runden, bis Nordkorea mit harten Forderungen konfrontiert wird und die Gespräche abbricht.

Aber Nordkorea hat doch schon mehrmals dem Abbau seines Nuklearprogramms zugestimmt.

Lankov: Das ist reine Taktik. Eine Denuklearisierung läuft Pjöngjangs Interessen völlig entgegen. Wir müssen uns absolut im Klaren darüber sein, dass Nordkorea seine Atombomben niemals aufgeben wird. Niemals, niemals, niemals.

Meinung

Kaum mehr als symbolische Akte

Von SZ-Mitarbeiter

Bernhard Bartsch

Der Weltgemeinschaft wird womöglich kaum etwas anderes übrig bleiben, als wieder einmal auf Kims Forderungen einzugehen und ihm damit unfreiwillig zu helfen, seine Herrschaft zu sichern. Zwar wird der Uno-Sicherheitsrat gewiss erneut mit Sanktionen drohen und vielleicht sogar einige Zwangsmaßnahmen beschließen. Doch über symbolische Akte wird das Engagement nicht hinausgehen. Denn nicht nur für Nordkoreas Schutzmacht China, sondern auch für Südkorea, die USA und Russland ist der Status quo noch das kleinste Übel. An einem Regionalkonflikt hat niemand ein Interesse. So hat Kim gelernt, seine Atomwaffen als Lebensversicherung für sein Regime einzusetzen. Sie schützen ihn vor militärischen Angriffen von außen und versorgen ihn mit den notwendigen Ressourcen, um die Eliten bei Laune zu halten.

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