Verbale Ohrfeigen für MoskauTigerbändiger Putin demonstriert den Europäern Gelassenheit

Brüssel. Europa ist entschlossen: Was Russland mit Gewalt erreicht hat, muss wieder zurückgedreht werden. Es ist Nicolas Sarkozy, der amtierende EU-Ratspräsident, der die Botschaft jetzt persönlich in den Kreml bringen wird: Europa verhängt keine Strafen gegen Russland. Aber die Truppen müssen aus Georgien verschwinden

 Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin (55, links) hat sich Journalisten als Tigerbändiger präsentiert. Wie russische Medien gestern berichteten, "rettete" Putin Reporter vor dem Raubtier, das während eines Fototermins in einem Naturschutzgebiet ausgebrochen war. Foto: dpa

Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin (55, links) hat sich Journalisten als Tigerbändiger präsentiert. Wie russische Medien gestern berichteten, "rettete" Putin Reporter vor dem Raubtier, das während eines Fototermins in einem Naturschutzgebiet ausgebrochen war. Foto: dpa

Brüssel. Europa ist entschlossen: Was Russland mit Gewalt erreicht hat, muss wieder zurückgedreht werden. Es ist Nicolas Sarkozy, der amtierende EU-Ratspräsident, der die Botschaft jetzt persönlich in den Kreml bringen wird: Europa verhängt keine Strafen gegen Russland. Aber die Truppen müssen aus Georgien verschwinden. Sonst werden die Verhandlungen zu einem europäisch-russischen Grundlagenabkommen eingefroren. "Das ist nicht nur ein Ultimatum", sagt der französische Staatspräsident. "Das ist auch und vor allem eine Chance für die Diplomatie."

Doch es sind scharfe Töne, die die Gemeinschaft aussendet. Im Kreis der 27 Staats- und Regierungschefs, die noch bis vor wenigen Tagen so uneins über die richtige Reaktion gegenüber Moskau schienen, herrscht Einigkeit. Im Schlussdokument wird die "Militäraktion" als "völlig inakzeptabel" gebrandmarkt. Von Brüssel aus werden die Staaten der Welt aufgerufen, Abchasien und Süd-Ossetien nicht anzuerkennen. Und: "Russlands Soldaten, die im Rahmen einer Friedensmission in Georgien waren, müssen sich auf die Linie vor dem 7. August zurückziehen." Niemand wolle die "Bemühungen" Russlands um eine Wiederherstellung des Gesprächskontaktes übersehen, heißt es von mehreren Gipfelteilnehmern am Abend. Immerhin hatte der Kreml schon am Mittag signalisiert, anstelle eigener Truppen internationale Friedenssoldaten nach Georgien zu schicken, was der EU-Außenbeauftragte Javier Solana sogleich aufgriff und die Bereitschaft der Union signalisierte, sich zu beteiligen. Auch der Verzicht auf Sanktionen entspricht einem Appell aus Moskau. "Aber wir dürfen uns hier nicht zum Hampelmann machen und einfach tolerieren, wenn mitten in Europa mit Waffengewalt Grenzen verändert werden", sagt Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker.

Auf vielen Gesichtern spiegelt sich gebremste Wut über das Verhalten der russischen Führung. "Ich finde es nicht gut", beginnt Kanzlerin Merkel ihren Satz, stockt dann, um es schärfer zu sagen: "Ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, dass russische Truppen noch immer in Georgien stehen." Und auch Nicolas Sarkozy, der den Sechs-Punkte-Waffenstillstand ausgehandelt hatte, sieht man an, dass er sich gekränkt fühlt von der Ignoranz des Kreml. "Aber was hätten wir denn tun sollen?", ruft er erregt bei der Abschlusspressekonferenz. "Glauben Sie denn, die Krise wäre mit Kriegsschiffen im Schwarzen Meer besser zu lösen gewesen? Nein, die EU ist und war das einzige politische Bündnis, das vermitteln konnte. Und das haben wir getan, schon drei Tage nach dem Einmarsch der Russen." Er sagt wirklich "Einmarsch". Nur diese Schärfe der Worte, so ist zu hören, habe die europäischen Staaten zusammengeschweißt und jene einlenken lassen, die auf Strafaktionen gepocht hatten. "Durch die Krise in Georgien stehen die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland an einem Scheideweg", heißt es im Abschlussdokument. Und das ist, sagt ein Diplomat am Abend, "sehr ernst" gemeint.Moskau. Nicht die immer wieder hochkommende Diskussion über Sanktionen gegen Russland im Südkaukasuskonflikt waren in Moskau das Thema Nummer eins, sondern Fotos des russischen Regierungschefs Wladimir Putin im Tarnanzug als tapferer Tigerbändiger und besorgter Tierschützer. "Putin legt dem Tiger das Halsband an", lobte das Boulevardblatt "Komsomolskaja Prawda". Die zugespitzte Krise um Russlands Besetzung georgischer Konfliktgebiete verbannten die Zeitungen dagegen auf die hinteren Seiten. Das Signal war klar: Demonstrative Gelassenheit zum EU-Gipfel in Brüssel.

Putins Ausflug in das fernöstliche Naturschutzgebiet - mehr als 6000 Kilometer von Moskau - hätte nach Meinung von Beobachtern keine deutlichere Botschaft an Europa sein können: Das vor wirtschaftlichem Selbstbewusstsein nur so strotzende Moskau fürchtet sich nicht vor einer möglichen Isolation. Sanktionen? "Das wäre nicht schlimm", zitierte die Zeitung "Iswestija" den "nationalen Führer" Putin.

Die Politiker in Moskau lehnten sich zurück, während sich die europäischen Mitgliedsstaaten über den Umgang mit der Energiemacht Russland stritten. Russland verlässt sich seit langem darauf, dass die EU in dieser Frage tief gespalten ist. "Die EU ist eine Geisel ihrer Komplexe", "Die EU zaudert mit Sanktionen", höhnte die Zeitung "Nessawisimaja Gaseta" in ihren Überschriften.

Signale einer Deeskalation waren aus Moskau vorerst nicht in Sicht. Stattdessen drohte Präsident Dmitri Medwedew vor dem Treffen in Brüssel selbst mit Sanktionen. Doch eine harte Bestrafung aus Brüssel blieb wie erwartet aus. Experten hatten gewarnt, dass eine Isolation Moskaus sich an verschiedenen Brennpunkten wie bei der Vermittlung im Nahost-Konflikt und bei der EU-Friedensmission im Tschad auswirken könne. "Wir dürfen uns hier nicht zum Hampelmann machen."

Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker

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