Ludwigspark – Die Geschichte eines Stadions Ein stiller Ort der Erinnerung
Saarbrücken · Stadt und Land sanieren den Park bundesligatauglich. Zeit. Das letzte Spiel im alten Park fand am 4. Dezember 2015 statt. Eine Hommage von damals.

Ein Ort für Fußball-Romantiker: Saarbrückens Stadion im Abendrot und mit Flutlicht. Foto: Andreas Schlichter
Foto: Andreas Schlichter
Eric Wynalda traf in der Bundesliga-Saison 1992/93 neun Mal für den FCS. Foto: Hartung
Foto: Hartung
Anthony Yeboah war einer der besten Stürmer, der jemals das FCS-Trikot trug. Foto: Hartung
Foto: HartungDie Toilette im E-Block ist deutsche Fußball-Romantik. Dabei ist sie auf den ersten Blick lediglich ein altes Pissoir. Sogar eines der übelsten Sorte. Wasser plätschert seine weiß gekachelten Wände herunter. Nur mühsam spült es das Wesentliche durch eine Rinne in den Abfluss. Was bleibt, ist das unverwechselbare Bouquet.
Zur Entschuldigung der Latrine sei gesagt, dass sie eine öffentliche ist. Und eine sehr alte. In mehreren Jahrzehnten bot sie am Kopf des E-Blocks im Saarbrücker Ludwigsparkstadion hunderttausenden, meist bierseligen Fans Zuflucht. Ungeachtet der Spielklasse. Dennoch: Für viele Menschen ist sie lediglich ein Symbol für den baukörperlichen Zerfall eines Stadions, Baujahr 1953. Sie freuen sich, dass die Sanierung ab Februar alle Toiletten dem Erdboden gleich machen wird. Für andere hingegen sind die Latrinen ein stiller Ort der Erinnerung. Gar ein Artefakt einer Fußball-Epoche, in der alle Stadien eine Laufbahn hatten und alle Stadiontoiletten so karg waren, wie es das E-Block-Klo heute immer noch ist. Der gleiche Style, das unverwechselbare Odeur. Deutschlandweit.
Daher werden für einige Ludwigspark-Fans beim Wasserlassen Erinnerungen wach. An das erste Erstligaspiel am 24. August 1963 gegen den 1. FC Köln (0:2), an den bisher letzten Bundesliga-Heimsieg am 20. Februar 1993 gegen Bayer Leverkusen (3:1). Eine Zeit, in der Spieler noch Anthony Yeboah , Wolfram Wuttke, Alfred Wahlen, Roland Stegmayer, Eric Wynalda, Dieter Ferner, Felix Magath , Jovan Acimovic oder Egon Schmitt hießen. An 233 Erstliga- und 501 Zweitligaspiele. Peter Neururer , Klaus Schlappner, Uwe Klimaschefski und Manfred Krafft standen als Trainer auf der abgewetzten Laufbahn.
1985 galt die damals neue Anzeigetafel im Stadion als eine der modernsten des Landes. Die Toiletten waren noch State of the Art. An den Toren am Sportfeld hingen keine Netze - sondern Stahldraht. Fans zockten zur Pflege ihrer sozialen Netzwerke Tischfußball im FCS-Clubheim. Fernsehgeräte hatten selten eine Fernbedienung, Telefone ein Kabel und Geld aus Automaten gab es nicht.
Heute zahlt man in der Bundesliga die Stadionwurst mit Karte, nahezu alle Stadiontoiletten sind wohlriechend, haben große Fliesen und Lichtschranken zur Spülung. Im Ludwigsparkstadion nicht. Für einige Fans leuchtet das E-Block-Klo wie ein letztes Fanal gegen den modernen Fußball.
Genau wie die angerosteten Flutlichtmasten, die korrodierten olympischen Ringe am Marathontor, die tausendfach gestrichenen Bauhaus-Geländer an der Haupttribüne. Symbole einer vergilbten Fußballzeit. Heimat. Der graue Beton, der an seinen Füßen von roter Asche umgarnt wird, die sich bei Regen in eine schlammige Unsäglichkeit verwandelt. Das Unkraut, das auf den Stehrängen wuchert. Dieser grobe, dunkelgraue Beton.
Die losen Stufen, die kleine Brücke zur Haupttribüne, der Fuchsbau im Hang; die Sprecherkabine mit ihrem Elektro-Ofen. Die "alte Dampfeisenbahn" auf der Anzeigentafel. Die verbogenen Zäune rund ums Stadion, die Lücken für "Gucker" lassen. Romantische Sonnenuntergänge über dem Marathontor bei Flutlicht. Kein Bier mehr in Halbzeit zwei, "Blau-Schwarz ist unser Dress".
Jedes Teil dieses Stadions atmet Geschichte und kann eine erzählen. Vom Saarland, von der WM-Qualifikation 1954, vom 1. FC Saarbrücken , von den Gruben- und Stahlarbeitern, von den Krisen und Höhen des Landes, von einem 6:1-Sieg gegen Bayern, von Hermann Neuberger und Helmut Schön , Frank Zappa (Live-LP: "Saarbrücken 1978"), von Fritz Walter , Herbert Binkert, Kurt Clemens, Peter Maffay , von Borussia Neunkirchen , Röchling Völklingen, von Auf- und Abstiegen, von toten Fans , von der deutschen Nationalmannschaft, von unvergesslichen Fan-Momenten. Jeder regelmäßige Besucher hat seine eigene Geschichte mit dem Park. Jede ist persönlich, und dieser Samstag ist der Tag, sich daran zu erinnern.
Um 14 Uhr wird das Spiel zwischen dem 1. FC Saarbrücken und dem TSV Steinbach von Schiedsrichter Michael Kimmeyer angepfiffen. Vierte Liga. Das letzte Liga-Spiel im Park. Keine Klasse, kein Gegner, die dem Anlass gerecht werden. Fanartikel zum Ludwigspark hat der FCS zum Abschied auf den Markt geworfen. Ein Ludwigspark-Nostalgietrikot zum Beispiel (49 Euro). Ein Abschiedsturnier will der Verein noch veranstalten. Wann? Noch unklar. Ein Abschiedsspiel gegen einen Bundesligisten ist nicht geplant. Auch nicht von der Eigentümerin des Stadions, der Stadt.
Vielleicht hängt das damit zusammen, dass das Stadion aus Sicht des modernen Fußballs ein maroder Bau ist. Aus der Zeit gefallen, nicht zu vermarkten. Gut, dass er wegkommt, sagen viele. Andere verspüren jetzt schon Trennungsschmerz.
16 Millionen Euro investieren Stadt und Land in die Sanierung. Sind sie fertig, wird der Ludwigspark nicht mehr viel mit dem 1953 eröffneten Bau des Stadtplaners Peter Paul Seeberger gemein haben. Fußballromantik? E-Block-Klo? Alles weg. Austauschbar? Nicht ganz. Die Stadionplaner von Gerkan Marg und Partner (GMP) aus Hamburg und Aachen geben nicht alles verloren. Gut, alle Tribünen bekommen ein Dach, die Saar-VIPs ihre Logen, die Laufbahn kommt auch weg, dennoch liegt das Stadion weiterhin rundlich eingebettet in der Landschaft; die Anzeigentafel darf bleiben, die Victors-Tribüne auch. Und natürlich die Erinnerungen. Die kann kein Bagger der Erde wegschaufeln. Genauso wenig wie die Hoffnung, dass der neue Park eine ähnliche bewegte Geschichte haben wird wie der alte. Und schickere Toiletten.
Dieser Text ist der Teil einer Artikelserie, die sich "Ehrenrunde" nennt und sich mit dem Ludwigsparkstadion beschäftigt. In den kommenden Monaten werden wir hauptsächlich im Sportteil Geschichten aus der Historie des Parks erzählen.