Wandel in Innenstädten Pommes statt Pullover

Saarbrücken · Modeläden machen zu, immer mehr Restaurants auf: Experten sehen eine Wende in Innenstädten, die Chancen bietet. Aber auch Probleme.

 Blick auf die Bahnhofsstraße vom Dach des Vikoriahauses aus. In saarländischen Städten, vor allem den größeren, ist der Wandel ebenfalls zu beobachten,

Blick auf die Bahnhofsstraße vom Dach des Vikoriahauses aus. In saarländischen Städten, vor allem den größeren, ist der Wandel ebenfalls zu beobachten,

Foto: Oliver Dietze

Deutschlands Innenstädte sind im Umbruch. Der Textilhandel ist auf dem Rückzug, dafür machen in den Einkaufsstraßen immer mehr Cafés und Restaurants auf. Das Motto: Mehr essen, weniger shoppen. Und das dürfte erst der Anfang sein. Der Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH), Boris Hedde, sieht für die Zukunft noch einschneidendere Veränderungen. Er prognostiziert: „Die Innenstadt wird ein Erlebnispark.“ Dann fügt er noch hinzu: „Hoffentlich.“

Tatsächlich sehen sich die Einkaufsstraßen zwischen Kiel und Garmisch-Partenkirchen – und auch zwischen Merzig, St. Wendel, Homburg und Saarbrücken – mit mit der größten Herausforderung seit Jahrzehnten konfrontiert. Die Verbraucher erledigen einen immer größeren Teil ihrer Einkäufe im Internet. Immer weniger Konsumenten finden deshalb noch den Weg in die Innenstädte.

Eine Folge: Immer mehr klassische Modehändler müssen ihre Tore schließen. Und wenn die Räume neu vermietet werden, zieht immer öfter ein Gastronomiebetrieb in die verwaisten Räume. „Bei den Neuvermietungen in den Innenstädten liegt der Anteil der Gastronomie inzwischen bei über 20 Prozent, das ist mehr als doppelt so viel wie noch vor einigen Jahren“, berichtet Dirk Wichner vom Immobilien-Berater JLL. Vor allem Restaurantketten wie Vapiano, Alex oder Extrablatt seien auf dem Vormarsch.

In saarländischen Städten, vor allem den größeren, sei der Wandel auch zu beobachten, sagt Jürgen Fried (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Neunkirchen und Präsident des Saarländischen Städte- und Gemeindetages. Doch mehr als eine „gefühlte“ Umwandlung des Angebots mancherorts machen im Saarland die Leerstände Sorgen, die leer bleiben – vielerorts. Vor allem in ländlichen Kommunen nehme das Problem zu, sagt auch Fabian Schulz, Geschäftsführer des Handelsverbands Saarland. Nicht nur der Online-Boom trage dazu bei, auch die alternde Gesellschaft, Probleme in der Infrastruktur, teure Mieten durch Hauseigentümer. Im Saarland sei das Problem erkannt, sagen beide. Gelöst sei es noch nicht.

Das bundesweite Comeback der Gastronomie in den Innenstädten war der „Immobilien Zeitung“ unterdessen bereits eine lange Geschichte wert. Ihr Titel: „Das große Fressen“. Kernbotschaft: „Lange wurden Gaststätten und Cafés aus den Innenstädten verdrängt, jetzt kehrt die Gastronomie zurück.“ Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband kommt in einem Branchenbericht zum Ergebnis: „Großstädte ohne Kaffeebars sind kaum mehr vorstellbar.“

Dabei ist der Siegeszug des Online-Handels nach Einschätzung von Wichner nicht der einzige Grund für die Entwicklung. Im öffentlichen Bewusstsein gewinne Essen generell an Wichtigkeit, die Bedeutung der Mode dagegen schwinde. „Bei Facebook wird inzwischen ein Foto vom Essen gepostet, nicht von der neuen Jacke“, beschreibt er den Wandel. Für den Immobilen-Experten ist die Entwicklung nicht negativ. „Der Verbraucher holt sich seine Innenstädte zurück“, meint er. Die vergangenen Jahrzehnte seien eine Art Kaufrausch-Zeitalter gewesen, in dem der Konsum die Innenstädte dominiert habe. „Dessen sind die Menschen überdrüssig. Jetzt kommt der Erlebnischarakter dazu.“ Wichner erwartet auch ein Revival der Innenstadt-Kinos. Außerdem werde es in Zukunft in der City auch wieder mehr Waren des täglichen Bedarfs geben. Die großen Lebensmittelhändler drängten bereits massiv in die Innenstädte.

Auch für Boris Hedde steht fest: Der Handel wird zwar weiter eine große Rolle in den Städten spielen, aber nicht mehr Monopolist sein. Besuchermagneten würden in Zukunft andere Spieler sein: „Die Gastronomie und alles, was mit Freizeit zu tun hat“. Doch wird der Umbruch wohl auch Opfer fordern. Nicht jede Innenstadt wird den Wandel vom Einkaufs- zum Erlebnisraum schaffen. Gute Chancen sehen Experten für Metropolen und kleinere Städte „mit Charakter“. Wie viele es nicht schaffen, wird sich zeigen.

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