Europäischer Gerichtshof Urlaubsanspruch verfällt nicht automatisch

Luxemburg · Der Europäische Gerichtshof hat das Recht auf bezahlten Urlaub gestärkt. Das Urteil wird Experten zufolge die Praxis in den Betrieben verändern.

 Arbeitgeber müssen einem Urteil des höchsten europäischen Gerichts zufolge ihren Beschäftigten ermöglichen, ihren Urlaub zu nehmen.

Arbeitgeber müssen einem Urteil des höchsten europäischen Gerichts zufolge ihren Beschäftigten ermöglichen, ihren Urlaub zu nehmen.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Was geschieht mit dem Resturlaub eines gestorbenen Ehepartners? Und verfällt der Jahresurlaub automatisch, wenn ein Arbeitnehmer ihn nicht beantragt? Der Europäische Gerichtshof hat die Rechte von Arbeitnehmern gestern in diesen Fragen deutlich gestärkt. Hintergrund der Urteile waren mehrere Fälle, die derzeit vor deutschen Gerichten verhandelt werden (Az.: C-619/16, C-684/16, C-569/16 und C-570/16). 

Vor allem die Entscheidung zum etwaigen Verfall des Jahresurlaubs dürfte wohl fast jeden Arbeitnehmer – und somit auch jeden Arbeitgeber – betreffen. Dabei ging es um die Frage, ob nicht genommener Urlaub automatisch verfällt, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht beantragt hat. Das höchste EU-Gericht verneint dies und nimmt den Arbeitgeber in die Pflicht.

Dieser müsste nachweisen, dass er seinen Angestellten angemessen aufgeklärt und in die Lage versetzt habe, den Urlaub zu nehmen. Nur dann könne der Anspruch auf Urlaub oder Ausgleichszahlungen erlöschen, falls der Urlaub nicht genommen wird. Der EuGH begründete sein Urteil auch damit, dass die Arbeitnehmer im Verhältnis zum Chef in der schwächeren Position seien. Deshalb könnten sie davon abgeschreckt sein, auf ihr Urlaubsrecht zu bestehen.

„Das Urteil wird viele Arbeitgeber dazu veranlassen, die bisherige Urlaubspraxis zu hinterfragen“, sagte Michael Fuhlrott, Professor für Arbeitsrecht an der Fresenius-Hochschule in Hamburg. „Arbeitgeber werden ihre Mitarbeiter womöglich künftig bereits zu Jahresbeginn verpflichten, die Urlaubszeiten festzulegen.“

Annelie Buntenbach aus dem Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds begrüßte das Urteil: „Der EuGH hat klargestellt, dass es der Verantwortung des Arbeitgebers obliegt, den Urlaub zu gewähren. Das ist eine wichtige Grundsatzentscheidung zum Schutz der Arbeitnehmerrechte.“ Nach deutschem Recht erlischt der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel am Ende des Jahres, falls der Arbeitnehmer zuvor keinen Urlaubsantrag gestellt hat. Dadurch würden viele Firmen bevorteilt, sagte Buntenbach.

Hintergrund der EuGH-Entscheidung waren zwei Fälle aus Deutschland. Ein ehemaliger Rechtsreferendar des Landes Berlin hatte entschieden, in den letzten fünf Monaten seines Referendariats keinen Urlaub zu nehmen. Dafür fordert er finanziellen Ausgleich. Ein früherer Angestellter der Max-Planck-Gesellschaft streitet zudem für eine Auszahlung nicht genommenen Urlaubs aus zwei Jahren.

In einem weiteren Urteil entschieden die Luxemburger Richter, dass Erben Ausgleichszahlungen für nicht genommenen Urlaub eines Gestorbenen von dessen ehemaligem Arbeitgeber verlangen können – auch dann, wenn nationales Recht diese Möglichkeit wie in Deutschland eigentlich ausschließt.

Der EuGH betonte, der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolge zwei Ziele. Zum einen solle er Erholung ermöglichen. Zudem bestehe aber der Anspruch auf Bezahlung während des Urlaubs. Dieser könne dem Arbeitnehmer und später auch den Erben nicht rückwirkend entzogen werden. Zwei Witwen fordern vor deutschen Gerichten Ausgleichszahlungen für nicht genommenen Jahresurlaub ihrer gestorbenen Ehemänner.

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