Neues Kabinett in Madrid In Spanien regiert jetzt die Frauenpower

Madrid · Neben Ministerpräsident Pedro Sánchez wurden gestern elf Ministerinnen und sechs Minister vor König Felipe in Madrid vereidigt.

 Gruppenbild mit Herren: Frauen werden künftig in Spaniens Regierung, die gestern bei König Felipe (Mitte) im Zarzuela-Palast vereidigt wurden, deutlich in der Mehrheit sein. Auf den ersten Blick sind auf diesem Foto nur zehn Ministerinnen zu sehen, tatsächlich wird die elfte von Regierungschef  Pedro Sánchez (4.v.l.) verdeckt.

Gruppenbild mit Herren: Frauen werden künftig in Spaniens Regierung, die gestern bei König Felipe (Mitte) im Zarzuela-Palast vereidigt wurden, deutlich in der Mehrheit sein. Auf den ersten Blick sind auf diesem Foto nur zehn Ministerinnen zu sehen, tatsächlich wird die elfte von Regierungschef  Pedro Sánchez (4.v.l.) verdeckt.

Foto: dpa/J.J. Guillen

Die weibliche Revolution in Spaniens neuer Regierung stellt auch die Sprache vor neue Herausforderungen: Wie nennt man ein Kabinett, in dem mit elf Ministerinnen, sechs Ministern und einem Regierungschef die Frauen dominieren? Das sei ein „Ministerinnenrat“, twitterte angetan Pepa Bueno, prominente Moderatorin des Radiosenders SER.

Die neuen Kabinettsmitglieder, die gestern Morgen vor Spaniens königlichem Staatsoberhaupt Felipe VI. den Amtseid ablegten, beendeten das Rätselraten mit einer salomonischen Entscheidung: Sie versprachen im „Ministerinnen- und Ministerrat“ ihr Bestes zu geben. Der sozialistische Regierungschef Pedro Sánchez hatte kurz zuvor bei der Präsentation seines Frauenkabinetts „den Kampf gegen die Ungleichheit“ als eine der Prioritäten seiner Amtszeit bezeichnet.

„Spanien hält den Weltrekord der Ministerinnen“, überschrieb die auflagenstärkste nationale Tageszeitung „El Páis“ einen Meinungsartikel, in dem die Politikprofessorin Silvia Claveria die neue Frauenregierung feiert und mit der männerdominierten Welt abrechnet. „Es bewegt sich etwas“, jubelt sie. In der früheren konservativen Regierung von Mariano Rajoy, der vergangene Woche über einen Korruptionsskandal gestürzt war, saßen acht Männer und fünf Frauen.

Das Kabinett sei „ein treuer Abdruck des Besten, was unsere Gesellschaft zu bieten hat“, sagte Regierungschef Sánchez. Spaniens Gesellschaft besteht laut nationalem Statistikinstitut zu 51 Prozent aus Frauen. Doch Sánchez’ Ministerinnen sind nicht nur in die Regierung eingezogen, um die Geschlechterquote mehr als zu erfüllen. Sie bringen auch Kompetenz mit, die man so geballt in Spanien selten gesehen hat: „Eine Regierung der Berühmtheiten“, titelte die Zeitung El Mundo.

Nur einige klingende Beispiele: Spaniens bekannteste Anti-Terror-Staatsanwältin Dolores Delgado (55) als Justizministerin. Eine angesehene Generaldirektorin der EU-Kommission als Wirtschaftsministerin – Nadia Calviño (49) war bisher die rechte Hand von EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger. Die frühere Richterin am Obersten Gerichtshof, Margarita Robles (61), wurde Verteidigungsministerin. Und die ausgewiesene Klimaschutzexpertin Teresa Ribera (49) soll als Umwelt- und Energieministerin in Spanien die grüne Wende einleiten.

Zum Kreis von Spaniens starken Frauen gehört auch die 61 Jahre alte Carmen Calvo, eine promovierte Verfassungsrechtlerin, die als Vize-Regierungschefin zu Spaniens mächtigster Politikerin aufsteigt. Sie führt zudem Spaniens neugeschaffenes Gleichstellungsministerium. „In der Politik werden die Frauen zunächst von oben bis unten angeschaut, erst dann hören sie uns zu“, klagte sie einmal. Calvo will mit der Diskriminierung von Frauen aufräumen, die sich in Spanien in ungleicher Bezahlung, schlechteren Karrierechancen, täglichen Macho-Sprüchen auf der Straße und sexuellen Übergriffen widerspiegelt.

Übrigens, einige männliche Ministerkollegen bringen ebenfalls Glanz mit: etwa der landesweit populäre Astronaut Pedro Duque (55), der zweimal im Weltall war und jetzt Forschungsminister wird. Zu den männlichen Stars gehört zudem der frühere EU-Parlamentspräsident Josep Borrell (71), ein Katalane, der das Außenministerium führen wird.

Ins Innenministerium zieht ein weiteres Schwergewicht: Hier amtiert der seit Jahren im Rampenlicht stehende Untersuchungsrichter des Nationalen Gerichtshofes, Fernando Grande-Marlaska (55). Experte in Organisierter Kriminalität und ein Mann, der zudem zum Protagonisten der spanischen Homosexuellen-Bewegung wurde mit seinem Credo: „Man darf sich als Homosexueller nicht verstecken.“

Nicht überall in Spanien wurde die neue Regierung mit Applaus begrüßt. Die von der Macht vertriebene konservative Volkspartei, die gerade ihre Wunden leckt und nach dem Rücktritt ihres Vorsitzenden Mariano Rajoy einen neuen Chef sucht, sprach von „Effekthascherei“.

Pablo Iglesias, der Generalsekretär der linksalternativen Protestpartei Podemos, zeigte sich gleichfalls nicht durchweg glücklich. Vor allem, weil sich seine Hoffnung, dass Podemos-Politiker in die Sánchez-Star-Regierung einziehen könnten, nicht erfüllte. „Pedro Sánchez hat in 24 Stunden vergessen, wer ihn zum Regierungschef gemacht hat“, ätzte Iglesias.

Der Sozialistenchef hatte Ende Mai eine Misstrauensabstimmung gegen Rajoy gewonnen. Zusammen mit den Sozialisten stimmten Podemos, die baskischen Nationalisten und die katalanischen Separatisten für Sánchez. Die Sozialisten halten im Parlament nur 84 der 350 Sitze; sie werden also vor jeder Abstimmung Mehrheiten suchen müssen.

Ursprünglich hatte Sánchez angekündigt, die 2020 auslaufende Legislaturperiode nicht auszuschöpfen, sondern vorzeitig Neuwahlen anzusetzen. Nachdem Sánchez sein Team präsentierte, kam jedoch bei vielen Kommentatoren der Eindruck auf, dass es sich hier nicht um eine Übergangsregierung handelt. „Dieses Kabinett“, sinnierte Moderator Carlos Herrera im Radiosender COPE, „ist angetreten, um zu bleiben.“

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