Abrissbirne gegen die Mythenbildung von Baader-Meinhof & Co.

Stuttgart. Zelle 719 in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim teilen sich vier Häftlinge. 21,3 Quadratmeter. "Scheiß Leben" hat einer an eine Wand gekritzelt. Ansonsten zieren Pin-Ups den Raum. An Historie erinnert nichts. Nur die Luft muffelt ein wenig nach alten Abflüssen. 1963 wurde Stammheim als moderne Anstalt vor die Tore Stuttgarts gebaut

 Die JVA Stammheim. Foto: dpa

Die JVA Stammheim. Foto: dpa

Stuttgart. Zelle 719 in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim teilen sich vier Häftlinge. 21,3 Quadratmeter. "Scheiß Leben" hat einer an eine Wand gekritzelt. Ansonsten zieren Pin-Ups den Raum. An Historie erinnert nichts. Nur die Luft muffelt ein wenig nach alten Abflüssen. 1963 wurde Stammheim als moderne Anstalt vor die Tore Stuttgarts gebaut. Damals ahnte niemand, wie berühmt der "Festung" genannte Hochsicherheitstrakt einmal werden würde. 1972 wurde die erste Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) dort inhaftiert. 1973 wurden deren "Stars" im siebten Stock zusammengelegt, Frauen und Männer durften im "Umschlussbereich" beisammen sein.

Zelle 719 - das war die von RAF-Terrorist Baader und zuvor die von Ulrike Meinhof bis zu ihrem Suizid-Tod am 9. Mai 1976. Gudrun Ensslin "bewohnte" die 720, Jan-Carl Raspe die 716. Am Donnerstag werden Kinobesucher sich ihr Bild vom "sichersten Gefängnis der Welt" machen können. Für Bernd Eichingers Film-Crew öffnete die JVA ihre Pforten. Der "Baader-Meinhof-Komplex" wurde auch hier am Originalschauplatz gedreht. Erst zum 30. Jahrestag des "deutschen Herbstes" hatte die JVA für die Medien die alten Grundrisse mit weißen Klebestreifen auf den grau-grünen Fußboden geklebt, damit sich jeder eine Vorstellung davon machen kann, wie wenig hier von "Isolationsfolter" die Rede sein konnte. Es gebe nichts, was einen Mythos Stammheim begründen könnte, lautete die Botschaft. Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) findet schon lange, dass die "Erinnerung an damals entfernt werden soll". Es müsste doch "reichen, wenn Fotos des Gebäudes übrig bleiben". Es werden Fotos sein und ein paar Filmsequenzen.

Denn nun ist es amtlich: Bald wird das berühmte Hochhaus selbst Geschichte sein. Spätestens 2012 soll es abgerissen werden. Jahrelang prüfte das baden-württembergische Finanzministerium, was billiger kommt: Abriss oder Renovierung. Eine Sanierung sei "nicht wirtschaftlich", hieß es nun von der Hochbauabteilung. Tatsächlich sind die 600 Zellen im "Hochhaus" rappelvoll mit mehr als 800 Gefangenen. Stammheim ist ein ganz normales Gefängnis, das zweitgrößte in Baden-Württemberg. Im sanierungsbedürftigen Hochhaus ist die Jugendabteilung untergebracht. Die Vollzugsbeamten - erst recht die Häftlinge - sehnen sich nach einem modernen Bau mit Einzelzellen, was nicht erst seit Siegburg schon rechtlich geboten ist. Im Grundsatz ist der "Vollzugsschwerpunkt Stammheim" längst beschlossene Sache. Die Frage war nur: mit oder ohne Hochhaus.

Geplant ist nun, im umzäunten Bereich eine psychiatrische Vollzugsklinik mit 200 Betten zu errichten. Davor sollen schon ab kommendem Jahr drei zusätzliche Erweiterungsbauten mit je 180 Haftplätzen entstehen, wohin die Häftlinge verlegt werden können. Die JVA Stammheim braucht objektiv mehr Platz. Doch spürt man im Justizministerium auch die Erleichterung darüber, den geschichtsträchtigen Bau endlich loszuwerden. Nicht nur das "siebte OG", wo die RAF-Terroristen untergebracht waren oder die Dachterrasse, wo Baader, Meinhof, Ensslin & Co. ihre Frischluft-Rundgänge machten - der ganze RAF-Trakt soll endlich weg. Nichts soll in Stammheim mehr einen Mythos begründen können. "Mag sein, dass manche daran denken, daraus eine Pilgerstätte zu machen", sagt Golls Sprecher. Aber: "Würden Sie Terroristen ein Denkmal setzen?"

 Die JVA Stammheim. Foto: dpa

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