„Es darf kein Elitenprojekt werden“

Das Saarland soll zweisprachig werden – mit dieser Ankündigung hat die Landesregierung bundesweit Aufsehen erregt. Doch wie realistisch ist dieser Plan? Darüber sprach SZ-Redakteurin Nora Ernst mit dem Sprachwissenschaftler Philipp Krämer (29). Der gebürtige Homburger lehrt an der Universität Potsdam, seine Schwerpunkte sind Sprachenpolitik und Mehrsprachigkeit.

Herr Krämer, was halten Sie von den Plänen für ein zweisprachiges Saarland?

Krämer: Generell ist das eine gute Idee, auch wenn es ein Stück weit utopisch ist. Aber ich finde, die Landesregierung hat eine gute Balance zwischen Utopie und Realitätssinn gefunden.

Kann man Zweisprachigkeit denn von oben herab vorschreiben?

Krämer: Es besteht natürlich das Risiko, dass die Bevölkerung nicht mitmacht. Aber ich würde das Ganze nicht als Zwang sehen. Es eröffnet den Menschen schließlich neue Handlungsoptionen, zusätzliche Rechte. Das kann man auch im Eckpunktepapier der Regierung zwischen den Zeilen lesen: Da steht beispielsweise, dass die Mitarbeiter der Landesverwaltung künftig ein Recht auf Sprachfortbildung haben sollen.

Wie groß ist das Risiko, dass die Bevölkerung nicht mitzieht?

Krämer: Das kommt ganz darauf an, ob es der Regierung gelingt, den Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass sie etwas davon haben. Im Moment ist die Strategie noch sehr stark auf den wirtschaftlichen Erfolg konzentriert, den man sich von der Mehrsprachigkeit erhofft. Da fühlen sich die Menschen schnell instrumentalisiert. Deshalb muss man ihnen klar machen, dass es für sie auch einen Zuwachs an Lebensqualität bedeutet.

Wie realistisch ist es, das innerhalb einer Generation zu erreichen?

Krämer: So etwas geschieht selten so schnell. Trotzdem ist es richtig, sich dieses Ziel zu setzen. Wenn man nämlich einen Zeitraum von hundert Jahren festlegt, versandet es, weil dann andere an der Macht sind, die womöglich andere Prioritäten haben.

Aber das kann auch innerhalb von 30 Jahren passieren.

Krämer: Ja, aber dann erinnert sich die Bevölkerung noch an die Ziele und fordert sie unter Umständen ein.

Kann Luxemburg dem Saarland als Vorbild dienen?

Krämer: In gewissem Maße schon. Dort funktioniert die Mehrsprachigkeit sehr gut, aber es gibt auch Probleme. Die Mehrsprachigkeit ist dort noch immer ein Indiz für die soziale Herkunft und das Bildungsniveau. Das Saarland muss darauf achten, dass das nicht auch hier passiert, sonst wird das Ganze ein Elitenprojekt.

Wie lässt sich das verhindern?

Krämer: Indem man das Französische in gleicher Weise an sämtlichen Schulen verankert und nicht etwa nur an Gymnasien. Und indem die Sprache im Alltag als selbstverständlich wahrgenommen wird. Zum Beispiel durch zweisprachige Beschilderungen oder Werbung, oder über die Medien, die auch mal einen Artikel auf Französisch drucken.

Die Frankreich-Strategie soll auch dazu beitragen, die Eigenständigkeit des Saarlands zu sichern. Kann das gelingen?

Krämer: Ich weiß es nicht, aber das sollte auch nicht das Ziel sein. Sprache sollte nicht für politische Zwecke eingespannt werden, sie sollte den Sprechern dienen.

Es gab einige Kritik an dem Konzept, unter anderem wurde bemängelt, Englisch sei viel wichtiger als Französisch.

Krämer: Das ist für mich kein Argument. Es gibt generell die Tendenz, Sprache nach ihrem Marktwert zu beurteilen: Mit welcher kann ich Geld verdienen? Das ist der falsche Ansatz. Es ist ja nicht so, dass der Kopf irgendwann voll ist und dann nichts mehr hineinpasst. Im Gegenteil lernt man eine neue Sprache leichter, wenn man mehrsprachig ist.

Aber die Angst ist ja, dass Englisch in den Schulen vernachlässigt wird.

Krämer: Man sollte sich nicht in Ressourcen- und Verteilungsdiskussionen verstricken. Wichtiger ist, dass das Französische im gesamten Alltag präsent ist.

Der Grundstein wird aber doch in den Schulen gelegt. Gleichzeitig plant das Land, Lehrerstellen abzubauen.

Krämer: Natürlich sind die Finanzen ein Problem. Die ganze Strategie ist nicht für umsonst zu haben. Aber es gibt ja durchaus Mittel, zum Beispiel vom Bund oder von der EU. Außerdem könnte das Land die Grenznähe nutzen, zum Beispiel für einen verstärkten Lehreraustausch mit Lothringen.

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