Soll Cannabis legalisiert werden?

Ärztekammer-Präsident Josef Mischo warnt, Pirat Michael Hilberer hält eine Freigabe für überfällig.

 Fotos: Robby Lorenz

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Herr Hilberer, warum halten Sie die repressive Drogenpolitik für gescheitert?

HILBERER Das Ziel der Drogen- und Suchtpolitik muss es sein, die Bevölkerung zu schützen - den Teil, der keine Suchtstoffe zu sich nimmt, aber auch den Teil, der Drogen konsumiert. Wenn man sieht, dass die Zahl der Konsumenten stagniert und wir bei den Drogentoten sogar einen Ausschlag nach oben haben, kann ich nur konstatieren, dass diese Politik gescheitert ist. Ein Verbot hält keinen davon ab, Drogen zu konsumieren. Ansonsten gäbe es keinen Schwarzmarkt und keine Beschaffungskriminalität.

MISCHO Aus ärztlicher Sicht müssen wir von nennenswerten Folgeschäden bei Cannabis-Konsum ausgehen. Bei langjährigen Konsumenten, die als Jugendliche beginnen, müssen wir mit langfristigen Problemen rechnen: Konzentrationsstörungen, Wesensveränderungen, Herz- und Gefäßprobleme. Diskutiert wird ein Zusammenhang zu Psychosen, Schizophrenie zum Beispiel. Da gibt es aber die Frage, ob nicht erst die Schizophrenie oder eine krankhafte Persönlichkeitsstörung da war und anschließend Cannabis als Mittel benutzt wird, um damit fertig zu werden.

Sie sind also gegen eine Freigabe?

Mischo Wir können als Ärztekammer nicht sagen: Das ist harmlos, das kann man einfach freigeben. Meine persönliche Meinung ist: Man sollte das restriktiv halten, nach wie vor speziell das Dealen unter Strafe stellen. Über den Eigenkonsum im Einzelfall kann man diskutieren. Wir warten mit Spannung auf eine Studie, die das Bundesgesundheitsministerium zu dieser Frage in Auftrag gegeben hat. Sie soll Mitte des Jahres veröffentlicht werden.

Hilberer Aus unserer Sicht sind die negativen Folgen der Prohibition höher als die Risiken bei einer regulierten Freigabe. Deshalb sind wir zu der Überzeugung gekommen, wir wollen eine streng regulierte Freigabe, auch wenn wir jetzt noch nicht alle Fakten kennen.

Was wäre durch eine Freigabe gewonnen?

Hilberer Dadurch, dass wir den Verkauf kriminalisieren, hat sich der Staat jede Regelungsmöglichkeit genommen, darauf einzuwirken, wer wem was anbietet. Wir haben keinen Jugendschutz und keine Qualitätssicherung, weil es ja kriminelle Ware ist. Es gibt auch keine Angebote für den Konsumenten, um ihm zu sagen: Das ist problematisch, was du da tust. Ich könnte mir ein ähnliches Modell wie im US-Bundesstaat Colorado vorstellen, mit einer sehr strikten Regulierung des Marktes, um dann endlich staatlichen Einfluss nehmen zu können.

Mischo Aber gerade in Colorado ist die Zahl der jugendlichen Konsumenten nicht gesunken. Das heißt, Sie haben nicht den Effekt, den wir eigentlich wollen. Wenn wir den Erwachsenen den Konsum erlauben und Jugendlichen verbieten, ist die Frage, ob wir dadurch nicht sogar noch mehr Interesse bei jungen Menschen wecken.

Hilberer Aber ist dieser Effekt größer als der Reiz des Verbotenen?

Mischo Sie haben ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie geben es für alle frei - da hätten wir aus medizinischen Gründen für Jugendliche die größten Bedenken. Oder Sie sagen: Na gut, bei Erwachsenen ist es vielleicht nicht so schlimm, für die gebe ich es frei und für Jugendliche nicht. Dann hätten wir die Sorge, dass diese Gruppe animiert wird zu sagen: Ich will jetzt unbedingt erwachsen werden. Wenn man diese Frage politisch bearbeitet, müsste man in einer sehr sorgfältigen Studie zusammentragen, was wir an Erkenntnissen aus Ländern haben, wo das jetzt schon so gehandhabt wird. Die nächste Frage ist: Welche Begleitmaßnahmen brauchen wir? Ich denke, da sind wir uns einig, dass es nicht ausreichend ist zu sagen, wir verbieten das und dann hat es sich. Wir brauchen eine Kampagne.

Hilberer Aus meiner persönlichen Erfahrung als Jugendlicher kann ich sagen: Ein großes Problem bei den bisherigen Anti-Drogen-Kampagnen war, dass Cannabis mit allen harten Drogen in einen Topf geworfen wurde. Wenn man Cannabis auf eine Stufe stellt mit Heroin, disqualifiziert sich die Kampagne selbst.

Mischo Das Problem der Differenzierung haben wir auch bei Crystal Meth. Wir wissen, dass es Konsumenten gibt, die den Stoff niedrig dosiert nehmen, auch unter dem Druck der Leistungsgesellschaft. Bei einem gewissen Prozentsatz der Konsumenten führt das zu einer massiven Abhängigkeit und zu katastrophalen Auswirkungen. Hier werden an eine Kampagne hohe Anforderung zu stellen sein. Ich muss als mündiger Bürger informiert sein, was passiert, wenn ich so etwas konsumiere.

Die Piraten wollen Drogen vor allem deshalb legalisieren, um den Schwarzmarkt auszutrocknen. Überzeugt Sie das nicht?

Mischo Für diese Beurteilung ist mir die Faktenlage noch zu dünn. Es ist auch vorstellbar, dass der Schwarzmarkt sich neue Entwicklungen sucht. Das Problem ist ja, dass da Leute sitzen, die viel Geld verdienen wollen. Wenn ich irgendetwas erlaube, gehen die aufs nächste. Dieses Risiko würde ich aus dem Bauch heraus sehen. Deshalb interessieren mich die Fakten.

Hilberer Wenn man die verfügbaren Drogen in einen regulierten Rahmen leitet, entsteht ja nicht plötzlich eine neue Nachfrage, weil jemand illegale Drogen haben möchte. Einen solchen Automatismus kann ich mir nicht vorstellen.

Geht es Ihnen bei der Legalisierung eigentlich nur um Cannabis?

Hilberer In erster Line geht um Cannabis, weil wir das für einen vergleichsweise harmlosen Stoff halten, der weit verbreitet und ein in weiten Teilen akzeptiertes Genussmittel ist. Gleichzeitig sehen wir den Bedarf für eine komplett neue Drogenpolitik. Wir müssen den ganzen ideologischen Ballast über Bord werfen. Unser langfristiges Ziel ist eine legale Form für jede Art von Droge unter einer strikten Regulierung. Das Rauchen ist ein schönes Beispiel, wie man es geschafft hat, die Zahl der Konsumenten immer weiter zurückzudrängen.

Mischo Eine ganz andere Frage ist, das wäre gerade auch für Sie als Politiker ein wichtiges Thema: Was läuft in der Gesellschaft schief, dass wir nicht mit dem einen Glas Wein am Abend und drei Tassen Kaffee klarkommen? Weder mit dem strikten Verbot noch mit einer kontrollierten Freigabe kommt man an dieses Problem heran.

Ist Cannabis eine Einstiegsdroge?

Hilberer Wir haben zwei Einstiegsdrogen: Alkohol und Tabak. Als Jugendlicher kommt man früher oder später in eine Situation, in der man sturzbetrunken sein muss, weil das gesellschaftlich so erwartet wird. Die zweite große Einstiegsdroge ist Tabak, vor allem aufgrund des enormen Suchtpotenzials. Wenn wir Einstiegsdrogen suchen, dann sind es die beiden.

Mischo Wobei Alkohol und Tabak keine Einstiegsdrogen in dem Sinne sind, dass ein hoher Prozentsatz, der damit beginnt, dann mit anderen Drogen weitermacht. Ich kenne weder für Tabak noch für Alkohol die klar belegte Aussage: Wer das nimmt, hat ein hohes Risiko, anschließend das nächst härtere zu konsumieren.

Cannabis ist auch eine Heilpflanze, weshalb der Bundestag beschlossen hat, dass Schwerstkranke Cannabis konsumieren dürfen.

Mischo Grundsätzlich unterstützen wir, dass man die therapeutischen Möglichkeiten erweitert. Aus unserer Sicht wird das therapeutische Potenzial von Cannabis aber weit überschätzt. Es gibt Patienten, die darauf ansprechen, andere sprechen nicht an. In den allermeisten Fällen gibt es potente Medikamente, die sicherer wirken. Trotzdem: In Einzelfällen, wenn andere Medikamente versagen, macht das grundsätzlich Sinn.

Hilberer Im Zweifel ist Schwerstkranken jeder Strohhalm zu gewähren, das gebietet schon die Menschlichkeit. Ich kritisiere aber, dass man es auf Schwerstkranke einschränkt. Ich hätte mir gewünscht, dass man ein größeres Experimentierfeld freigibt.

Aufgezeichnet von Daniel Kirch

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Dr. Josef Mischo (62) ist Facharzt für Chirurgie und arbeitet als Oberarzt in der Marienhausklinik in Ottweiler. Seit 2010 ist er Präsident der Ärztekammer des Saarlandes. Zudem leitet er die Arbeitsgruppe Sucht und Drogen der Bundesärztekammer. Michael Hilberer (37) gehört seit 2012 dem Landtag an. Dort leitet er die Piratenfraktion. Vor seiner politischen Karriere war der Informatiker Software-Entwickler beim Unternehmen SAP.

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