,,Lehrlinge müssen Leidenschaft mitbringen”

Saarbrücken · Kammerpräsidenten: Wie die Firmen sich ihren Nachwuchs sichern wollen, auch wenn die Zahl der Bewerber zurückgeht.

Die Ausbildungswelt wandelt sich. Die Zahl der Bewerber sinkt, weil jetzt geburtenschwache Jahrgänge nachrücken. Außerdem streben immer mehr junge Leute an die Hochschulen. Wie Industrie, Handel, Handwerk und viele Dienstleistungsbrachen auf die neuen Herausforderungen reagieren, beschreiben die Präsidenten der zwei großen Wirtschaftskammern an der Saar: Richard Weber (Industrie- und Handelskammer) und Bernd Wegner (Handwerkskammer).

In den vergangenen Jahren blieben viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Woran liegt das?

WEBER Bei unverändert hoher Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen verlassen immer weniger junge Leute die Schulen. Dieser Trend wird dadurch verstärkt, dass immer mehr Schulabgänger mit dem (Fach-)Abitur abschließen und dann lieber studieren. In der Folge fehlen den Betrieben Fachkräfte für die Zukunft - schon bald auch in Branchen, die sich ihre Auszubildenden jetzt noch aussuchen können.

Wie kann dieser Entwicklung entgegengewirkt werden?

WEGNER Eine zielgruppenscharfe Information ist das Gebot der Stunde. Wir probieren derzeit neue Wege aus, um junge Menschen zu erreichen. Auf der Internetseite www.youtube.com/MachdeinDing stellt unser Protagonist Marius Handwerksberufe in Saar-Unternehmen vor.

WEBER Die IHK Saarland hat 2015 eine Ausbildungskampagne gestartet, mit der sie für die duale Ausbildung und deren Chancen wirbt. Unter dem Motto "Berufliche Ausbildung: Das beste Training deines Lebens!" werden Perspektiven und Karrierewege für die unterschiedlichsten Zielgruppen aufgezeigt. Daher mein Tipp, sich auf der Internetseite www.bestestraining.saarland über die duale Berufsausbildung zu informieren.

Welche Fähigkeiten müssen Lehrlinge heute mitbringen, um den Anforderungen zu entsprechen? Werden Lehrstellen in der Not auch mit unterqualifizierten Bewerbern besetzt?

WEGNER Auszubildende müssen sich für ihren Beruf und ihr Unternehmen interessieren und Leidenschaft mitbringen. Wer seinem Ausbildungsmeister zeigt, dass er gerne kommt und sich anstrengt, der hat schon viel gewonnen. Aber man muss es deutlich sagen: Unsere Unternehmen stehen im Wettbewerb und sind kein Reparaturbetrieb für das, was in Schule und familiärer Erziehung womöglich schief gelaufen ist.

Welche Branche muss zurzeit am meisten um Azubis kämpfen?

WEBER Besonders betroffen sind Gastronomie und Handel. Aber auch im Baubereich blieben in den vergangenen Jahren viele Stellen unbesetzt. Das ist jedoch nicht nur eine Frage der Branche. Auch andere Faktoren wie beispielsweise die Größe des Unternehmens oder die Region, in der sich der Ausbildungsbetrieb befindet, spielen eine große Rolle. Kleinere Unternehmen haben es häufig etwas schwieriger als größere. Insgesamt stellen die Betriebe aber fest, dass in allen Bereichen die Zahl der Bewerber deutlich zurückgeht.

Die Integration von Flüchtlingen in den Ausbildungsmarkt war gerade im vergangenen Jahr ein großes Thema. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

WEGNER Wir stellen bei vielen Flüchtlingen fest, dass sie sehr geringe Kenntnisse von dem Arbeitsleben und dem Qualifizierungssystem in Deutschland haben. Was übrigens auch oft genug bei deutschen Gymnasiasten der Fall ist. Daher sind derzeit die Einmündungsquoten in das Handwerk noch relativ gering. Dass das Handwerk in den Herkunftsländern in der Regel nicht so angesehen ist wie unser Wirtschaftsbereich in Deutschland, vereinfacht die Sache nicht gerade. Unsere Aufgabe ist es, Flüchtlingen die Bedeutung einer dualen Ausbildung noch deutlicher zu machen. Hier sind wir beispielsweise mit unserem eigens dafür beschäftigten Flüchtlingsnetzwerker sehr aktiv.

Welche Auswirkungen wird die Digitalisierung auf den Ausbildungsmarkt haben?

WEBER Die Auswirkungen werden von Branche zu Branche sehr unterschiedlich sein. Mit den entsprechenden Rückwirkungen auf die Nachfrage nach Auszubildenden. Die Ausbildungsberufe werden sich durch die Digitalisierung generell stark verändern. Das gilt zum einen für die Lernmethodik während der Ausbildung, zum anderen für die Inhalte, weil digitale Themen Eingang finden. Ein Beispiel ist der Online-Handel beim neuen Einzelhandelskaufmann.

Wenn Sie noch einmal jung sein könnten, welche Ausbildung würden Sie ergreifen?

WEGNER Ich liebe meinen erlernten Beruf des Schuhmachers. Man muss aber hinzufügen, dass der Wandel der Berufsbilder dazu geführt hat, dass es durchaus neue und spannende technische Entwicklungen gibt. Wenn ich sehe, wie heute unsere Zerspanungsmechaniker Produkte erst am Bildschirm entwickeln und sie dann an Maschinen herstellen lassen, könnte ich mir vorstellen, mich auch dafür zu begeistern.

WEBER Mein Berufsweg begann mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium. Da wir ein mittelständisches Familienunternehmen sind, lernte ich früh auch die Praxis kennen und konnte unternehmerische Erfahrungen sammeln. Ein duales Studium wäre heute für mich eine sehr interessante Alternative.

Die Fragen stellte Jana Freiberger

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