Gabriel will Mitbestimmung ausweiten

Berlin · 40 Jahre alt wird heute das Mitbestimmungsgesetz, das den Arbeitnehmern in großen Unternehmen starke Mitspracherechte einräumt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund beklagt aber eine Flucht der Arbeitgeber aus der Mitbestimmung.

40 Ja hre nach Inkrafttreten des Mitbestimmungsgesetzes will SPD-Chef Sigmar Gabriel die Regeln auf mehr Firmen ausweiten. Der Schwellenwert, ab dem Mitbestimmung gelten soll, solle von 2000 auf 1000 Beschäftigte gesenkt werden, sagte der Parteivorsitzende und Bundeswirtschaftsminister gestern. Nach dem am 1. Juli 1976 in Kraft getretenen Gesetz muss in Kapitalunternehmen mit über 2000 Beschäftigten der Aufsichtsrat je zur Hälfte von Vertretern der Arbeitnehmer und Kapitaleigner besetzt werden. Gewerkschaften kritisieren aber regelmäßig, dass die Kapitalseite Abstimmungen im Aufsichtsrat für sich entscheiden kann, weil bei einem Patt der Vorsitzende ein Doppelstimmrecht hat und dieser von der Kapitalseite gestellt wir d.

Gabriel forderte, das deutsche Mitbestimmungsrecht müsse sich auch auf Unternehmen in ausländischer Rechtsform mit Sitz in Deutschland erstrecken. "Auf der europäischen Ebene müssen Schlupflöcher, wie sie etwa bei der Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) zur Vermeidung von Mitbestimmung genutzt werden können, konsequent geschlossen werden." Der CDU-Sozialpolitiker Peter Weiß sprach sich dafür aus, "Einschränkungen des deutschen Mitbestimmungsrechts im Zuge der europäischen Harmonisierung nicht zuzulassen".

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert ein Ende des gesetzlichen Stillstands: Die demokratische Besetzung der Aufsichtsgremien sei "definitiv eine Erfolgsgeschichte". Überall dort, wo es Mitbestimmung gebe, "gestaltet sich die Wirtschaft nachweislich deutlich sozialer und demokratischer". Zugleich sieht der Gewerkschaftsbund eine "Flucht vor der Mitbestimmung ". Laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gab es 2002 noch 767 paritätisch mitbestimmte Unternehmen, Ende 2015 waren es nur noch 635. "Dynamisch wachsende Unternehmen nutzen zunehmend Schlupflöcher im deutschen und europäischen Recht aus, um Unternehmensmitbestimmung zu vermeiden", sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann. Solche müssten geschlossen werden.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer mahnte dagegen, den deutschen Sonderweg der Mitbestimmung nicht zu vertiefen. Die Mitbestimmung sei kein Verkaufsschlager geworden und werde es auch nicht mehr werden. In keiner anderen bedeutenden Wirtschaftsnation haben Arbeitnehmer so viele Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Geschäftsleitung wie in Deutschland, konstatiert die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Von einer Flucht in ausländische Gesellschaftsformen, um die Kontrollmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu beschränken, könne jedoch keine Rede sein, hieß es.

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