Online-Medizin Das Internet erspart das Wartezimmer

Saarbrücken · Medizinische Diagnosen werden immer häufiger online oder per Telefon gestellt. Das soll dem Ärztemangel vor allem auf dem Land entgegenwirken. Es gibt vielversprechende Pilotprojekte aber auch weniger seriöse Angebote im Netz.

 Das Internet macht effiziente Ferndiagnosen erst möglich. Aber nicht alle Angebote im Netz haben das Wohl des Patienten im Sinn.

Das Internet macht effiziente Ferndiagnosen erst möglich. Aber nicht alle Angebote im Netz haben das Wohl des Patienten im Sinn.

Foto: dpa-tmn/Andrea Warnecke

Sich von einem Arzt über Telefon oder Video-Chat medizinisch beraten und behandeln zu lassen ist in Deutschland grundsätzlich möglich. Bisher verhinderte jedoch eine Regelung, dass eine Diagnose oder gar Behandlung ausschließlich aus der Ferne stattfindet. Diese umgangssprachlich „Fernbehandlungsverbot“ genannte Bestimmung wurde im vergangenen Jahr von der Landesärztekammer Baden-Württemberg gelockert: Als erstes Bundesland ist es Ärzten hier erlaubt, über Telefon und Internet zu praktizieren, selbst wenn sie den Patienten vorher nie getroffen haben.

Lange Anfahrtswege, volle Wartezimmer und andere Patienten mit ansteckenden Krankheiten sind Gründe, warum für viele Menschen eine Behandlung über Telefon oder Video-Chat attraktiv erscheint. Gerade auf dem Land kann die Telemedizin auch Versorgungslücken schließen, denn dort herrscht oft Ärzte- und Praxismangel. In anderen Ländern ist die Behandlung über Telefon und Video-Chat bereits gang und gäbe. In der Schweiz bietet das Unternehmen Medgate bereits seit 16 Jahren eine Behandlung via Telefon an und führt so nach eigenen Angaben bis zu 5000 Telekonsultationen pro Tag durch – auch ohne ein vorheriges Treffen von Arzt und Patient.

Baden-Württemberg zieht jetzt nach und ermöglicht auch in Deutschland die ausschließliche Telemedizin. Der Präsident der zuständigen Landeskammer, Dr. Ulrich Clever, ist überzeugt: „Wir sehen in den Modellprojekten vielfältige Chancen für die Zukunft und gehen davon aus, dass wir mit unserem Weg auch dem Ärztemangel ein Stück weit begegnen können.“

Ärzte, die an den neuen Möglichkeiten der Behandlung via Telemedizin interessiert sind, dürfen jedoch auch in Baden-Württemberg nicht einfach loslegen und ihre Patienten ab sofort nur im Video-Chat begrüßen. Die Landesärztekammer prüft Bewerber sorgfältig und ordnet an, dass jegliche Behandlung über Internet im Nachhinein evaluiert wird. So soll sichergestellt werden, dass der medizinische Standard auch ohne persönlichen Kontakt eingehalten wird. „Auch der Datenschutz hat für uns höchste Priorität“, versichert Ulrich Clever.

Ende des Jahres soll nun laut der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) das erste Modellprojekt unter dem Namen „DocDirekt“ in Stuttgart und Tuttlingen starten. Die beiden Orte wurden ausgewählt, um einen Vergleich zwischen Großstadt und ländlichem Bereich ziehen zu können. Finanziert wird das Projekt ebenfalls durch die KVBW. Patienten sollen dort künftig telefonisch an eine medizinische Fachangestellte durchgestellt werden, die nach einer kurzen Abfrage an einen zuständigen Arzt weiterleitet. Sollte in einem Gespräch dann festgestellt werden, dass der Patient persönlich in einer Praxis erscheinen muss, soll es eine Auswahl an Ärzten geben, die ihn noch am selben Tag empfangen können. Laut KVBW sei DocDirekt das erste von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierte Vorhaben dieser Art in Deutschland.

Schon jetzt vermitteln privatwirtschaftliche Internetseiten wie arztkonsultation.de, patientus.de oder sprechstunde.online Patienten an Ärzte, die Online-Sprechstunden anbieten. Jedoch gilt auch dort: Ohne vorherige Konsultation in der Praxis keine ausführliche Beratung oder gar Diagnose. Je nach Arzt und Plattform können außerdem Zusatzkosten anfallen.

Ein umstrittener Anbieter ist dred.com/de. Dieser bietet das an, was nach deutschem Recht eigentlich nicht erlaubt ist: Diagnosen stellen und Patienten behandeln, selbst wenn zuvor kein persönlicher Kontakt bestanden hat. Dass die Webseite dennoch für deutsche Verbraucher zugänglich ist, liegt daran, dass der Firmensitz in Großbritannien eingetragen ist, wo die Rechtslage eine Behandlung erlaubt. In der Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte heißt es wörtlich: „Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“ Wie Benjamin Ruhlmann, Rechtsanwalt und Projektleiter einer Studie zur Akzeptanz von Telemedizin an der Hochschule Fresenius, erklärt, ist das Vorgehen von dred.com dennoch legal: „Im Titel steht bereits, dass sich die Berufsordnung nur auf Ärzte bezieht, die in Deutschland tätig sind. Da sich die Mediziner von dred.com in Großbritannien aufhalten, gilt diese für sie nicht. Egal, ob der Patient nun in Deutschland ist.“

Da dred.com derzeit keine Telefon- und Videochat-Gespräche anbietet, werden Nutzer lediglich aufgrund von Selbstauskünften in einem Online-Fragebogen behandelt. Dafür müssen sie teilweise tief in die Tasche greifen: Zwischen neun und 49 Euro werden fällig. Kurz nach Einführung der Webseite 2012 hat Stiftung Warentest den Anbieter getestet und von der Nutzung abgeraten, nachdem zwei vermeintliche Krankheiten nicht richtig erkannt und deshalb zu einer völlig falschen Behandlung geraten wurde.

Der Präsident der Ärztekammer des Saarlandes, Dr. Josef Mischo, hegt ebenfalls Zweifel an der Seriosität von dred.com: „Das Risiko einer Falschbehandlung ist hoch.“ Der kontrollierten Telemedizin, wie sie im Modellprojekt in Baden-Württemberg stattfinden soll, stehen er und seine Kollegen hingegen positiv gegenüber: „Die saarländische Ärzteschaft spricht sich dafür aus, verschiedene digitalisierte Versorgungsangebote zügig in die Regelversorgung zu überführen“. Besonders bei chronischem Herzleiden oder Diabetes Typ 2 sieht er hohes Potenzial für eine telemedizinische Überwachung.

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