Die aggressiven Stimmen des Internets

Frankfurt/Main · Immer öfter werden Frauen, die sich aktiv und selbstbewusst im Netz äußern, sexistisch beschimpft und beleidigt.

 Hass, Häme und Hetze: Zunehmend werden politisch aktive Frauen zur öffentlichen Zielscheibe von feindseligen Internetnutzern. Grafik: Race/Fotolia

Hass, Häme und Hetze: Zunehmend werden politisch aktive Frauen zur öffentlichen Zielscheibe von feindseligen Internetnutzern. Grafik: Race/Fotolia

ARD-Journalistin Anja Reschke bekommt sie, auch die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen berichtet von ihnen: Hassmails, die darauf abzielen, Frauen herabzuwürdigen und ihre körperliche Unversehrtheit in Frage zu stellen. Was die Frauen eint: Sie sind öffentlich präsent und treten selbstbewusst auf. Wie die junge Redakteurin Karolin Schwarz. Sie ist politisch, mischt sich ein und ist aktiv auf vielen sozialen Medien unterwegs - ein beliebtes Ziel für Hasskommentatoren im Netz. Mal sind die Beleidigungen implizit, mal ganz offen. Mal werden sie direkt an ihre Mailadresse, dann wieder über den Kurznachrichtendienst Twitter oder Facebook geschickt.

Zusammen mit Lutz Helm hat Schwarz im Februar 2016 das Internetprojekt Hoaxmap gegründet, auf dem sie Gerüchte und Falschbehauptungen über Flüchtlinge widerlegt. Seitdem wird sie mit Hassmails überhäuft - sie reichen von sexualisierten Beleidigungen bis hin zu Vergewaltigungsdrohungen. "Ein Steuerzahler" etwa schreibt ihr lange Mails mit Links zu Artikeln über Straftaten von Flüchtlingen oder Menschen ausländischer Herkunft und beendet sie stets mit dem Satz: "Ich hoffe, insbesondere Sie als Frau sind mit der Entwicklung hochzufrieden." In den allerwenigsten Fällen schrieben ihr Frauen, fügt Schwarz hinzu. Die Männer in ihrem beruflichen Umfeld blieben hingegen gänzlich von derartigen Nachrichten verschont: "Mein Kollege bekommt keine Hassmails."

Die Salzburger Kommunikationswissenschaftlerin Ricarda Drüeke beobachtet eine Übereinstimmung von Personen, die öffentlich gegen Frauen hetzen und gleichermaßen gegen Migranten. "Wie Gleichberechtigung ruft Einwanderung bei manchen Männern eine starke Verunsicherung hervor", sagt Drüeke. In den Hasskommentaren zeige sich auch eine Angst der absteigenden Mittelschicht, ihr werde noch mehr weggenommen - Arbeitsplätze, soziale Sicherung, Frauen. Dabei richteten sich die Angriffe nicht gegen die Einzelne. Mit den Attacken sei laut Drüeke vielmehr die Gruppe von Frauen gemeint, die man verunglimpfen und einschüchtern wolle.

Das Bundeskriminalamt hat für 2015 insgesamt 2706 Straftaten registriert, die eine Beleidigung, (2178), üble Nachrede (257) oder Verleumdung auf sexueller Grundlage (271) darstellen. Andreas Mayer, Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes, gibt offen zu, dass er das Phänomen zwar kennt, eine Strategie dagegen aber schwierig sei: "Wir arbeiten seit sechs Jahren intensiv an diesem Problem, aber es wird nicht weniger."

Online-Sexismus, erklärt Mayer, sei eine Form der Cybergewalt, mit der versucht werde, Frauen mundtot zu machen und über einen längeren Zeitraum öffentlich bloßzustellen. Viele Opfer brächten die Beleidigungen jedoch gar nicht erst zur Anzeige. Dabei sei dies die einzige Möglichkeit, gegen die Bedrohung vorzugehen. "Sobald Straftaten begangen werden, also beleidigt, verleumdet oder mit einem Verbrechen gedroht wird, raten wir den Opfern immer zur Anzeige", sagt Mayer. Die meisten Opfer seien Frauen.

Doch selbst eine Anzeige kann nicht immer helfen. Schwarz berichtet davon, dass Hasskommentatoren eines Tages ihre private Adresse veröffentlicht und zig Mal auf Twitter geteilt haben - als Seitenbetreiberin ist sie rechtlich in der Pflicht, eine Adresse im Impressum anzugeben. Sie schrieb an Twitter, doch bis heute sind die verbreiteten Inhalte mit der Adresse aktiv. Sie nahm Kontakt mit der Online-Wache der Polizei auf, doch dort sei sie lediglich abgewimmelt worden. Auch Mayer kritisiert seine Kollegen: "Die Kollegen sind da nicht genügend sensibilisiert. Der einfache Streifendienstbeamte kann den Sachverhalt vielleicht gar nicht richtig erfassen", sagt er.

Betroffenen rät Mayer deswegen, sich direkt an eine Fachdienststelle für Sexualdelikte zu wenden, möglichst schriftlich und mit einer umfassenden Dokumentation der Übergriffe. "Dann kann es die Polizei nicht mehr bagatellisieren." Im deutschen Strafrecht gibt es den Straftatbestand der sexuellen Beleidigung zwar nicht. Doch ein Gericht könne aufgrund der Art und Schwere der Beleidigungen entscheiden, dem Vorfall in jedem Fall nachzugehen, sagt Mayer. So oder so: Das Strafrecht kommt an seine Grenzen. Denn geahndet werden könne eine Beleidigung nur dann, wenn sie sich aktiv und individuell gegen eine Person richtet. Einem Kommentar wie "Ich wünschte, Du wirst vergewaltigt" werde man mit dem Strafrecht nicht beikommen, sagt Drüeke - und Sexismus schon gar nicht.

Auch Schwarz beobachtet, dass der Hass im Netz immer mehr Frauen in ihrem Umkreis davon abhält, sich zu äußern. Wenn es gar nicht mehr ginge, schalte sie einfach ihren Rechner aus oder bittet ihre Kollegen, die Mails zu lesen. Und die gröbsten einfach gleich ungeöffnet zu löschen.

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