In Zukunft Rente erst mit 72?

Berlin. Steigt die Lebenserwartung weiter, kommt die Rente erst mit 72. Das hat das Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock ausgerechnet. Im Jahr 2050 müssten die Deutschen fünf Jahre länger arbeiten, um die Funktion des Rentensystems zu erhalten, sagte der Direktor des Instituts, James Vaupel, der "Welt am Sonntag"

Berlin. Steigt die Lebenserwartung weiter, kommt die Rente erst mit 72. Das hat das Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock ausgerechnet. Im Jahr 2050 müssten die Deutschen fünf Jahre länger arbeiten, um die Funktion des Rentensystems zu erhalten, sagte der Direktor des Instituts, James Vaupel, der "Welt am Sonntag". Das würde bedeuten, die Deutschen dürften erst mit 72 in den Ruhestand und nicht mit 67, wie bisher geplant. Seit Jahresbeginn wird die Regelaltersgrenze schrittweise bis 2029 von 65 auf 67 Jahre angehoben.Vaupel reagierte mit seinem Vorschlag auf Pläne der Europäischen Kommission. Sie empfiehlt den Mitgliedsländern, "das Rentenalter mit der Steigerung der Lebenserwartung abzugleichen" und außerdem die Möglichkeiten der Frühverrentung zu beschränken. So steht es im Entwurf zu einem sogenannten Weißbuch der EU-Kommission, das sie in der kommenden Woche vorstellen will.

"Die Menschen müssen schlicht einen vernünftigen Teil ihrer Lebenszeit arbeiten", sagte Wissenschaftler Vaupel zu den Plänen aus Brüssel. Heute verbrächten die Europäer etwa die Hälfte ihres Lebens im Beruf. "Für die Rentensysteme würde es schon reichen, dieses Verhältnis beizubehalten."

Nach Vaupels Forschung steigt die Lebenserwartung in Europa von Jahrzehnt zu Jahrzehnt um zwei bis drei Jahre. "2050 wird sie bei etwa zehn Jahren mehr liegen als heute", sagte der weltweit renommierte Demografie-Experte. "Etwas von dieser geschenkten Zeit werden wir auf die Arbeit verwenden müssen." Gesundheitliche Probleme, wie sie Kritiker der Rente mit 67 ins Feld führen, will der Forscher nicht gelten lassen. "Die gesunde Lebenserwartung steigt ebenso rasch an. Wenn Menschen zehn Jahre länger leben, werden sie zehn Jahre später krank", meinte Vaupel. Sein Modell sieht zudem vor, dass Menschen "mehr Lebensjahre, aber weniger Wochenstunden" arbeiten. "So haben sie in jungen Jahren mehr Zeit für die Familie, belasten aber im Alter nicht die Pensionskassen, sagte er.

Sonderabgabe für Kinderlose

Das DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach lehnte solche Überlegungen als "Unverschämtheit" ab. Der Zugewinn an Lebensjahren sei zwischen armen und reichen Bevölkerungsgruppen sehr ungleich verteilt. Heute schon schafften es viele Krankenschwestern und Bauarbeiter nicht einmal, bis zum derzeitigen gesetzlichen Renteneintrittsalter von 65 Jahren gesund zu bleiben.

Unterdessen hat eine Gruppe jüngerer Unionsabgeordneter zur Entlastung der Kranken- und Pflegeversicherung eine Sonderabgabe für Kinderlose gefordert. Die Gruppe um den sächsischen CDU-Politiker Marco Wanderwitz macht sich laut einem Bericht des "Spiegel" für eine "solidarische Demografie-Rücklage" stark, die bereits ab 2013 erhoben werden solle. Bis 2025 soll auf diese Weise ein zweistelliger Milliardenbetrag zusammenkommen. Die Abgabe soll dem Bericht zufolge ein Prozent des Einkommens betragen und nach der Anzahl der Kinder gestaffelt werden: Kinderlose sollen voll zahlen, Eltern mit einem Kind die Hälfte, Eltern mit zwei oder mehr Kindern sollen nicht belastet werden. "Insbesondere in der Kranken- und Pflegeversicherung profitieren Menschen mit keinem oder einem Kind derzeit erheblich davon, dass andere ihrer Generation zwei oder mehr Kinder bekommen haben, weil sie im Alter dieselbe solidarische Leistung mit deutlich geringerem Einsatz bekommen", begründen die Abgeordneten ihren Vorstoß. dapd/afp/dpa

sozialkompass.eu

Flexibler

in den Ruhestand

Von SZ-RedakteurVolker Meyer zu Tittingdorf

Arbeiten bis 72? Das können sich die meisten heute Berufstätigen wohl kaum vorstellen. Die Rostocker Forscher dürften daher mit ihren Berechnungen Empörung provozieren. Doch bei nüchternem Hinsehen ist die Prognose weniger dramatisch, als sie zunächst scheint. Die Experten haben nur fortgeschrieben, was Grundlage zur Einführung der Rente mit 67 war. Der Grundsatz, das Renteneintrittsalter der Lebenserwartung anzupassen, ist auf jeden Fall richtig. Doch so gut die Regel ist, sie passt nicht für alle Fälle. Alle diejenigen, die in körperlich besonders anstrengenden Berufen arbeiten, müssen übermäßige Nachteile hinnehmen. Anstelle eines fixen Renteneintrittsalters für alle sind daher flexiblere Lösungen vonnöten, die den jeweiligen Belastungen für die Gesundheit in den verschiedenen Berufen Rechnung tragen.

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