Verschiedene Kulturen, ein gemeinsames Ziel

Merzig. Die Mäppchen liegen fein säuberlich neben den Notizblöcken, die Blicke sind konzentriert auf das Lehrbuch gerichtet - in der Volkshochschule Merzig steht das Fach Deutsch auf dem Stundenplan. Dabei handelt es sich nicht um eine gewöhnliche Deutschstunde, sondern um Deutsch als Fremdsprache. Die Teilnehmer stammen allesamt aus dem Ausland

Merzig. Die Mäppchen liegen fein säuberlich neben den Notizblöcken, die Blicke sind konzentriert auf das Lehrbuch gerichtet - in der Volkshochschule Merzig steht das Fach Deutsch auf dem Stundenplan. Dabei handelt es sich nicht um eine gewöhnliche Deutschstunde, sondern um Deutsch als Fremdsprache. Die Teilnehmer stammen allesamt aus dem Ausland. In diesem so genannten ESF-Kurs, der von Ursula Schu geleitet wird, beherrschen die Anwesenden die deutsche Sprache bereits auf einem fortgeschrittenen Niveau. Seit November besuchen die Schüler im Erwachsenenalter regelmäßig den Unterricht von Ursula Schu, die selbst aus Ostpreußen stammt und Germanistik studiert hat. Gerade werden die verschiedenen Wohnräume durchgenommen. "Welche Möbel haben Sie in Ihrer Küche?", fragt Schu. "Wir haben einen Apothekerschrank", erzählt eine Teilnehmerin aus Polen. "Ist das für Medikamente rein?", fragt eine andere aus dem Libanon. Sie wird von ihrer Mitschülerin aufgeklärt. Hier hilft man sich gegenseitig. Beim Vorlesen eines Lückentextes flüstert der Sitznachbar die Antwort vor, wenn es mal hakt. "Der Kurs ist für viele die einzige Möglichkeit, sich auf deutsch zu unterhalten", erklärt Ursula Schu. "Viele sind in ihren Familien isoliert", ergänzt Ulrike Heidenreich, Leiterin der VHS Merzig. In den Kursen werden Kontakte geknüpft, Freundschaften entstehen.Ihre Herkunft mag unterschiedlich sein, aber das Ziel ist für alle das gleiche: die Prüfung für das Zertifikat B2 erfolgreich zu bestehen. Das Sprachniveau B2 entspricht einem "guten Mittelmaß", die Kenntnisse sind demnach so weit fortgeschritten, dass die Schüler sich sicher ausdrücken und Diskussionen in der Fremdsprache führen können. Das Zertifikat ist für die berufliche Anerkennung der Ausbildung notwendig, denn oftmals wird eine im Ausland absolvierte Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt. So sitzen im fortgeschrittenen ESF-Kurs auch qualifizierte Teilnehmer mit Abitur oder einem Studienabschluss, die in ihrem Heimatland den Job zum Beispiel einer Bibliothekarin oder eines Tierarztes ausgeübt haben. Aus diesem Grund sind die ESF-Integrationskurse beruflich ausgerichtet. Finanziert werden die Seminare vom Europäischen Sozialfonds (ESF). "Die Kurse werden ständig an die Teilnehmer angepasst, kaum ein Kurs ist wie der andere", berichtet Ulrike Heidenreich. Dabei werden in der VHS nicht nur Deutsch, Mathe und EDV-Kenntnisse vermittelt. Ein Sozialarbeiter kümmert sich, wenn es Verständnisprobleme mit Ämtern gibt oder die Kinder Probleme in der Schule haben. Überdies steht den Kursteilnehmern ein Job-Coach beratend zur Seite, der individuelle Bewerbungshilfe leistet. Meist dauern die Kurse ein halbes Jahr; auf dem Seminarplan steht auch ein Praktikum, das im Idealfall der Qualifikation des Bewerbers entspricht.

Wird eine Sprachprüfung nicht bestanden, dann ist das nicht das Ende. "Hier fällt keiner durchs Raster, die Nichtbesteher werden aufgefangen", versichert Heidenreich. "Man muss auch bedenken, dass die Hintergründe sehr unterschiedlich sind", so die VHS-Leiterin. Einige waren seit Jahren nicht mehr oder noch nie in der Schule. Für sie sei es weit schwieriger, in den Lernmodus zu kommen, als für diejenigen, die erst kürzlich ihr Studium im Ausland abgeschlossen haben.

Anders als die Fremdsprachenanfänger, die vom Arbeitsamt zu den Deutschkursen verpflichtet werden, absolvieren die Schüler den ESF-Kurs freiwillig - eben weil sie planen, wieder beruflich Fuß zu fassen. "Die Fortgeschrittenen haben deshalb eine andere, zusätzliche Motivation", sagt Heidenreich. Sprachanfänger hätten hingegen oft den Druck, dass sie Sozialleistungen gekürzt bekommen, wenn sie den Kurs nicht besuchen. Manch anderer sitze im Anfängerkurs auch einfach nur seine Zeit ab.

Wenn in der Deutschstunde für Fortgeschrittene an der VHS in Merzig eines nicht fehlt, dann ist es Motivation. Das bestätigt auch die Dozentin Schu. "Das hier ist diesbezüglich eine Luxusklasse", sagt sie. Sie legt viel Wert darauf, dass ihre Schützlinge ins Gespräch miteinander kommen, von sich und ihren eigenen Erfahrungen erzählen.Merzig. "Wir machen ein Picknick", erklärt Rachid Jbira an der Tafel, in schon fast einwandfreiem Deutsch. Der Marokkaner lebt seit sechs Monaten in Wadern; seit November besucht er den Integrationskurs in der Volkshochschule (VHS) Merzig. "Und wo ist das Picknick?", fragt die Leiterin Alicja Polek, in deren Kurs es für die Schüler gerade darum geht, ein Fest zu planen. Als Rachid (28) antwortet, schleicht sich ein kleiner Fehler ein: "In der Wald". Macht nichts, kurz überlegen - "ah ja, im Wald" -, denn schließlich sind sie deswegen alle hier: Deutsche Sprache und deutsche Kultur steht auf dem Stundenplan des VHS-Angebots. Für die Teilnehmer aus aller Herren Länder ein Muss, denn sie alle haben ein gemeinsames Ziel: in Deutschland bleiben.

Neu-Merziger wie Josephine Nicolay (20) brauchen den Kurs etwa von Berufs wegen. "Ich mache eine Ausbildung als Konditorin", erzählt die junge Frau, die im vergangenen Frühling aus dem fernen Australien nach Merzig gezogen ist. "Aber ohne Sprache geht es nicht gut. Sie ist das Wichtigste." Deswegen gibt es den Integrationskurs. 2005 im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes eingeführt, bildet er seither die Grundlage zum Spracherwerb für Ausländer, die nach Deutschland kommen. Wer hier bleiben und arbeiten will oder eben die Einbürgerung beantragen, muss nachweisen, dass er die Sprache "ausreichend" beherrscht und bestimmte Fakten über Deutschland kennt. Der Kurs endet mit einem Zertifikat nach bestandener Prüfung, davor liegen für Teilnehmer rund 660 Unterrichtsstunden Deutsch und Kulturvermittlung. Dieses Zertifikat wollen auch Josephine und Rachid unbedingt erlangen.

Der Marokkaner kam wegen der Liebe nach Deutschland. Hier ist er nun verheiratet, hat einen Nebenjob, will diesen Kurs unbedingt durchziehen. "Ich brauche den für mein Leben hier." Mit der deutschen Sprache "geht es im Moment gut", zumal der ganze Kurs gut zusammenarbeitet. Die Teilnehmer sind überwiegend junge Leute - "kein typischer Kurs", sagt VHS-Leiterin Ulrike Heidenreich. Normalerweise liege das Durchschnittsalter klar über 30.

Die Stimmung im Kurs ist gut - die Teilnehmer aus Polen, Spanien, Australien oder Marokko verstehen sich langsam richtig gut - sprichwörtlich. Die soziale Komponente des Kurses spiele eine große Rolle, sagt Heidenreich. "Für viele ist es die erste Gelegenheit, Leute kennen zu lernen, soziale Kontakte aufzubauen" - wichtig für die Integration, die folgen soll.

Sechs Monate lang trifft sich der Integrationskurs wochentags von 8 bis 12.30 Uhr. Die Sprachkenntnis wird im Deutschbuch und in Übungen vermittelt, meist über lebensnahe Situationen: Was sage ich beim Arzt?, wie schreibe ich einen Brief?, und so weiter. Vergleiche aus ihren Heimatländern bringen die Teilnehmer ein - Integration heißt multikulti. So lernen Rachid, Josephine und die anderen eben "alles", was sie für ihr neues Leben brauchen - und beugen sich wieder über ihre Aufgaben.

Auf einen Blick

46 Integrationskurse hat die Volkshochschule im Landkreis Merzig-Wadern seit 2007 angeboten, 861 Teilnehmer auf eine Zukunft in Deutschland vorbereitet. Die Kurse werden finanziert vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Teilnehmer zahlen pro Unterrichtsstunde 1,20 Euro (seit 1. Juli 2012), Empfänger von Sozialleistungen sind von den Kosten befreit. kes

 Die VHS-Deutschlehrerin Alicja Polek Foto: Rolf Ruppenthal

Die VHS-Deutschlehrerin Alicja Polek Foto: Rolf Ruppenthal

vhs-merzig-wadern.de

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