Vorsicht, Kunst!

Saarbrücken · Farben, die schmerzen und Skulpturen, die wachsen: Die Saarbrücker Stadtgalerie zeigt in einer herausragenden Ausstellung, was Tagesleuchtfarben alles können.

 Die „Fruchtschale“ (2011) von Steiner/Lenzlinger wächst, dank Kunstdünger, der Salze bildet. Foto: Stadtgalerie

Die „Fruchtschale“ (2011) von Steiner/Lenzlinger wächst, dank Kunstdünger, der Salze bildet. Foto: Stadtgalerie

Foto: Stadtgalerie

Man reibt sich die Augen. Nicht nur wegen der schockierenden farblichen Strahlkraft der Kunstwerke, die die Räume der Saarbrücker Stadtgalerie mit ungewöhnlicher Energie aufzuladen scheinen. Wahrlich, diese Neon-Kunst trägt Boxhandschuhe, wer ist darauf schon gefasst? Zusätzlich überrascht ist man aber auch über die eigenen blinden Flecken bezüglich der Kunstgeschichte. Dass der große Farbmagier Rupprecht Geiger (1908-2009), der die Farbe zum einzigen Bildgegenstand erklärte und pulsieren ließ, mit Tagesleuchtfarben arbeitete, das wird der ein oder andere wissen. Und in der Stadtgalerie neu zu schätzen lernen. Doch weitere Beispiele?

Obwohl Tagesleuchtfarben seit den 50er Jahren vor allem in die Konkrete Kunst Eintritt fanden, obwohl sie kurz danach auch von Pop-Art-Künstlern benutzt wurden, um den billigen Glamour der Alltagskultur ins figurative Bild zu holen, fehlte bis dato eine kunstgeschichtliche Einordnung. Die "Neon"-Ausstellung füllt sozusagen eine Lücke. Sie wurde vom Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt entwickelt, von der Stadtgalerie modifiziert übernommen und ergänzt. Sind Neonfarben misfits? "Neon ist die scharfe Schwester von Grau", so formulierte das der Künstler Roman Lang. Sprich: Diese einzelgängerische künstliche Farbe, die in der Natur nicht existiert und sich nicht mit ihrem Untergrund vermischt, ist laut und nervig und anstrengend. Die Künstlerin Renée Levi sagt es so: "Neonpink schreit: Ich bin hier!, im Gegensatz zu Rosa, das sagt: Du hast mich entdeckt, ich bin etwas rosa."

Insofern empfängt einen in der Stadtgalerie ein bombastischer, ein erfrischender Chor. In ihm haben klassisch-strenge Stimmen der Geometrie-Verliebten wie Günter Fruhtrunk und Hartmut Böhm ebenso Platz wie fröhliche, schrille Töne zeitgenössischer Künstler. Jede der 38 Positionen besitzt markante Aussagekraft, keine ist läppisch - das ist selten bei Gruppenausstellungen.

Wen wollte man hervorheben? Thomas Lenk vielleicht, dessen voluminöse "Schichtungs"-Skulptur in nervigem Pink (1973) wie ein pummeliges, verbogenes Ausrufezeichen die eigene Wichtigkeit zu ironisieren scheint. Und Thomas Ruff: Dessen Foto-"Substrat II" (2006), ein in psychedelischen Farbnebel verwandelter Manga-Comic, berauscht durch Schönheit. Erwähnt werden muss Berta Fischers Wand-Skulptur aus Acrylglas "Astheus" (2003): Erdenschwere und Starre löst sich wie von Zauberhand in einem Knäuel fluoreszierender Lichtfäden auf. Ähnlich verblüffend: Manfred Kuttners Matratzen-Wandobjekt, es macht Laune. Außerdem wechseln in dieser Schau manche Bilder die Farbe, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtet. Oder aber Kunstwerke wachsen dank eines Düngemittels über sich hinaus, bilden unkontrollierbare Kristallsalz-Kaskaden - in einem "hoch giftigen" Rosa-Ton.

Insgesamt gilt: Dieser Kunst entgeht man nicht, erlebt sie körperlich. Ihr "Leuchten", von dem der Untertitel spricht, ist nicht nur visuelles Erlebnis, sondern Qualitäts-Aussage. Selten sah man die Stadtgalerie besser, passgenauer bespielt: "Neon" füllt ein großes Format.

Bis 22. Juni, St. Johanner Markt 24, Di-Fr: 12-19 Uhr, Sa, So, Feiertag: 11-19 Uhr.

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