Türöffner und Selbstdarsteller

Berlin. Der diesjährige Erfolg in Zahlen: 703 Einsendungen, davon 120 Lyrik-Beiträge. Von einer "tollen Bandbreite" sprach Sara Schindler. Sie war eine der sechs Lektoren, die 22 Beiträge für die beiden Finaltage aussuchten und ihre Schützlinge dem Publikum und der Jury vorstellten

Berlin. Der diesjährige Erfolg in Zahlen: 703 Einsendungen, davon 120 Lyrik-Beiträge. Von einer "tollen Bandbreite" sprach Sara Schindler. Sie war eine der sechs Lektoren, die 22 Beiträge für die beiden Finaltage aussuchten und ihre Schützlinge dem Publikum und der Jury vorstellten. Die Gewinner kürten in diesem Jahr eine dreiköpfige Autoren-Jury: Tilman Rammstedt, Felicitas Hoppe und Kathrin Schmitt.Die große Abräumerin war die 35-jährige Österreicherin Christina Böhm. Sie gewann nicht nur den 19. "open mike", sondern auch den Publikumspreis, gesponsert von der "taz". Böhms Text "Platzanweisung" ist eine Parodie auf den Theaterbetrieb mit einer sehr schlecht gelaunten Ich-Erzählerin. Sie überzeugte nicht nur inhaltlich, sondern war erstaunlich sauber geschrieben. Eine verdiente Siegerin.

Der zweite Platz in der Prosa ging an den aus Bayern stammenden Joseph Felix Ernst, Jahrgang 1989. Sein Text "Dora Diamant" setzt sich mit Kafka auseinander. Diese Arbeit entziehe sich, so die Jury, durch die verschiedenen Stilmittel letztlich einer Genre-Bezeichnung. Auch diese Entscheidung geht in Ordnung. Hingegen erwies sich die Jury beim Lyrik-Preis als mutlos: Der am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studierende Sebastian Unger, Jahrgang 1978, schrieb über erdrückende Gefühle und Alltagsbeschreibungen - so häufig gehört, so langweilig. Doch die Jurorin und Lyrikerin Kathrin Schmitt überzeugte die beschriebene Melancholie Ungers als "vielfarbig schwarz".

Lobend erwähnte die Jury immerhin sowohl die Lyrik-Beiträge von Charlotte Warsen und Tristan Marquardt als auch den Romanbeginn von Stefan Köglberger. Lektor Manfred Metzner, der Köglberger ausgesucht hatte, erhielt vom Publikum einige Lacher, als er darauf hinwies, dass Köglbergers Vater der Österreich-bekannte schwarze Fußballstar Helmut Köglberger sei. Er spielte in den 1960/70er Jahren bei Austria Wien und hieß die "Schwarze Perle", erzählte Metzner enthusiastisch.

Alles in allem war es ein starker Jahrgang. Die 250 Zuschauer haben unterschiedlich gute Texte gehört: Von epischen Landschaftsbeschreibungen (wie von Anja Kootz) über Operetten-Groteske des Selbstdarstellers Meter Mütze bis hin zu experimenteller Lyrik eines Tristan Marquardt reichte das Spektrum.

Anders als bei den zwei vorigen schwachen Jahren braucht man sich insoweit über die Zukunft deutschsprachiger Literatur wenig Sorgen machen. Für die meisten der Teilnehmer dürfte sich die Tür in den Literaturbetrieb geöffnet haben. Wie weit sie eintreten, bleibt ihnen überlassen.

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