Mensch und Mythos

Stratford-upon-Avon · Seine Stücke füllen bis heute die Spielpläne der Theater: Am 23. April 1564 soll William Shakespeare in Stratford-upon-Avon das Licht der Welt erblickt haben. Doch gab es diesen großen Dramatiker überhaupt?

Am liebsten hätten sie ihn gleich eingebürgert. Es ist kein Zufall, dass die erste literarische Gesellschaft in Deutschland eine Shakespeare-Gesellschaft war. Neben Goethe und Schiller sollte der Engländer im 19. Jahrhundert als dritter Klassiker etabliert werden. 1916 forderte der Dramatiker Ludwig Fulda ironisch für den Fall, dass man den Ersten Weltkrieg gewinne, eine Klausel in den Friedensvertrag aufzunehmen, wonach Shakespeare nun auch "formell an Deutschland abzutreten" sei. Selbst 1940, als die Invasion gegen England vorbereitet wurde, traf sich in Weimar die Elite der Nazis, um den Geburtstag des Dramatikers zu feiern.

Shakespeare ist ein Phänomen. Mehr Mythos als Mensch. Morgen steht sein 450. Geburtstag an. Dabei bezweifelt mancher, ob es den Dichter wirklich gegeben hat. Hypothesen kursieren, laut denen Will Shakespeare nur ein Theaterjunge war, unter dessen Namen der Earl of Oxford veröffentlicht haben soll. Oder handelt es sich um ein Pseudonym, das der Dramatiker Christopher Marlowe nach seinem vorgetäuschten Tod benutzt hat? Es wird sogar erwogen, dass die Stücke Gemeinschaftswerke von Autoren und Schauspielern waren, die unter dem Namen Shakespeare erschienen, damit sie sich so besser vermarkten ließen.

Sicher ist nur eines: Das Leben dieses Mannes gibt Rätsel auf, Fakten existieren so gut wie keine. Mit 18 soll er die acht Jahre ältere Bauerntochter Ann Hathaway geheiratet haben, die ihm drei Kinder geboren hat und als Dank dafür im Testament von ihrem Gatten mit dem "zweitbesten Bett" bedacht wurde - was immer sich dahinter verbirgt? Hat die Formulierung etwas mit der Syphilis-Erkrankung zu tun, die dem Dichter nachgesagt wurde? Als er Anfang 20 war, ging Shakespeare ohne Ehefrau nach London. Vielleicht hat er sich Wanderschauspielern angeschlossen. Im Ensemble um Richard Burbage, das sich "Lord Chamberlain‘s Men" nannte, schrieb er sich zum Hauptautor empor, wurde bald Teilhaber des "Globe", später auch des "Blackfriars Theatre", bevor er 1612 nach Stratford zurückkehrte, wo er 1616 starb.

Was bleibt ist sein Werk. Neben drei Gemeinschaftswerken mit John Fletcher schreibt Shakespeare insgesamt 35 Stücke. Komödien wie "Der Widerspenstigen Zähmung", "Ein Sommernachtstraum", "Viel Lärm um nichts", "Wie es euch gefällt". Historien, darunter seine sechs "Heinrich"- oder die "Richard"-Stücke. Und die großen Tragödien "Romeo und Julia", "Hamlet", "König Lear" oder "Macbeth". Er bedient sich dabei historischer Quellen und Epen und bearbeitet sie frei. Oft siedelt er die Handlung im fernen Italien an, das ihm als Spiegel dient, in dem er die englische Gesellschaft abbilden kann. Vielseitig aufladen und interpretieren lassen sich seine Theaterstücke, was zu ihrem weltweiten Erfolg beiträgt. Als die Bühne 1593 wegen einer Pest-Epidemie geschlossen bleibt, dichtet er seine Sonette.

In Deutschland wird Shakespeare durch Lessing populär, der ihn 1759 im 17. Literaturbrief als Vorbild hinstellt, um zu einer eigenen Nationalliteratur zu gelangen und sich von den französischen Vorbildern loszusagen. "Das Große, das Schreckliche, das Melancholische" der Shakespeare'schen Stücke sei der deutschen Seele näher als "das Artige, das Zärtliche, das Verliebte" des französischen. Herders Manifest, das den Engländer zu einem "dramatischen Gott" erklärt, und Goethes "Zum Schäkespears Tag" treten wenig später eine wahre "Shakespearo-Manie" los, wie der Vormärz-Dramatiker Christian Dietrich Grabbe 1827 konstatiert. Die Begeisterung ist bis heute ungebrochen. Bis heute ist Shakespeare hierzulande der am häufigsten gespielte Bühnenautor. Dietrich Klose (Hg.): William Shakespeare - Dramen. Reclam, 1152 Seiten, 29,95 Euro.

Stefana Sabin: Shakespeare auf 100 Seiten. Reclam, 104 Seiten, 5 Euro.

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