„Das Politische verschwindet“

Batman, Superman, Thor, The Avengers – noch nie waren die Comic-Helden der US-Verlage Marvel und DC so populär wie zurzeit. Im Rahmen der Vorlesungsreihe „American Classics“ spricht heute Abend Soenke Zehle, HBK-Dozent und Medientheoretiker, über das Genre. „Iron Men, Invisible Women – Comic-Alltag zwischen Staatsverachtung und Gemeinschaftssehnsucht“ heißt sein Vortrag in der Saarbrücker Stadtgalerie. SZ-Redakteur Tobias Kessler hat mit Zehle gesprochen.

 Christian Bale als „introvertierter und messianisch beseelter“ Superheld Batman. Foto: Warner

Christian Bale als „introvertierter und messianisch beseelter“ Superheld Batman. Foto: Warner

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Was ist mit "Staatsverachtung" im Titel Ihres Vortrags gemeint?

Zehle: Die Politikverachtung durch Eliten, die demokratiemüde geworden sind. In der aktuellen Krise wächst die Macht der Exekutive auf Kosten anderer Bereiche des Staates. Und wenn selbst die Exekutive samt Sicherheitsapparat nicht mehr weiter weiß, dann treten im Comic und im Kino die Superhelden auf den Plan. Da bleibt nicht viel Respekt für die Prozesse der Politik.

Sind die Superhelden damit eher linke Anarchisten oder rechte Demokratiefeinde?

Zehle: Weder noch, denn das Politische als Dimension von Gesellschaft ist das erste, das verschwindet, wenn sie kommen. Die Bevölkerung taucht vor allem als Opfer auf. Erhabene Architekturen sind Schaukampf-Arenen für Elitekrieger, aber keine Orte, an denen sich gesellschaftliche Prozesse vollziehen. Im Gegensatz zu den 70er Jahren verzetteln sich engagierte Superhelden nicht mehr im Klein-Klein der sozialen Gerechtigkeit, sondern sie kehren stattdessen zurück zu Großtat und zu apokalyptischem Pathos-Schwurbel. Die neuen Bösen tragen dabei den Faschismus wie eine Monstranz vor sich her, damit auch der letzte Zuschauer versteht, dass da ein ganz Schlimmer gestoppt werden muss.

Die klassischen Superhelden sind zuletzt deutlich düsterer geworden. Die "Batman"-Kinotrilogie von Christopher Nolan zeigt überwiegend angeschlagene, neurotische Charaktere, die Titelfigur eingeschlossen. Was sagt uns das über den Zeitgeist?

Zehle: Vor allem, dass diese "Nolanisierung" des Superheldentums ganz offensichtlich einen Nerv trifft. Nolans Helden sind ebenso introvertiert wie messianisch beseelt, ihre Depression lenkt dabei ein wenig ab von der Unbedingtheit, mit der sie letztlich ihre Auserwähltheit akzeptieren.

Fast keine Comic-Superhelden, zumindest in den Verfilmungen, sind schwarz oder asiatisch. Sollen die weißen Helden unter sich bleiben?

Zehle: Das gilt noch für einzelne Helden, die Teams sind fast alle multikulturell. Stan Lee, Marvel-Zeichner und Galionsfigur des Verlags, arbeitet gerade an einem chinesischen und einem indischen Superhelden.

Ist das nicht auch dem kommerziell immer wichtigeren asiatischen Markt geschuldet? Dort erschien der Film "Iron Man 3" in einer speziellen Fassung, die sich von der für den Westen unterschied.

Zehle: "Iron Man 3" wurde ja auch von chinesischen Investoren mitfinanziert. Teil des Deals der Disney-Tochter Marvel mit der chinesischen Firma DMG Entertainment war es, dass für den chinesischen Markt eine eigene Fassung produziert wird, einschließlich des Auftritts chinesischer Stars. Das haben aber in Asien einige als zu viel Zugeständnis an die vermeintliche neue Weltmacht China empfunden. Es gibt eine taiwanesische Parodie, in der "Iron Man" jetzt Wanderarbeiterinnen rettet, die sich vom Dach eines ausbeuterischen IT-Zulieferers stürzen wollen.

Gibt es auch muslimische Comic-Helden?

Zehle: 2010 gab es eine gemeinsame Reihe von DC Comics und der Teshkeel Media Group aus Kuwait, in denen die US-Superhelden der "Justice League" auf "The 99" treffen, die erste Superheldenliga des Islam. Präsident Obama gefällt das, er hat in seiner Kairoer Rede die Begegnung von "Justice League" und "The 99" explizit erwähnt. Mit der neuen Ms Marvel erfindet der Verlag außerdem eine etablierte Superheldin neu: als 16-jährige Muslima, die zusammen mit ihren konservativen pakistanischen Eltern in New Jersey aufwächst. Das ist ein Experiment mit offenem Ausgang, noch ist der Comic nicht erschienen.

Wie haben sich die Erzählformen in den letzten Jahrzehnten verändert? Welchen Einfluss haben PC-Spiele und Internet?

Zehle: Comics waren schon immer sehr filmisch, sie stehen im ständigen Austausch mit cineastischen Erzählformen. Der Comic-Autor Frank Miller hat mit seiner Neufassung von Batman - "The dark knight returns" aus dem Jahr 1986 - großen Einfluss auf Christopher Nolans Batman-Trilogie im Kino gehabt. Frank Miller selbst greift dabei auf Traditionen des Kinos wie zum Beispiel den "Film Noir" zurück. Wirklich spannende transmediale Erzählformen, die Comics, Computerspiele und Film verbinden, gibt es bislang aber kaum, obwohl inzwischen seit fast 30 Jahren Superheldenspiele entwickelt werden.

Wer ist Ihr liebster Held in der Welt der Comics?

Zehle: Derzeit interessiert mich Black Panther, Marvels erster afro-amerikanischer Held. Eine ihm gewidmete Reihe aus den 60er Jahren gilt als der erste Bildroman des Verlags, sie war sehr experimentell, soviel zeichnerische Freiheit war bei Marvel selten. Spannend finde ich auch Zahra, eine fiktive Bewerberin um das iranische Präsidentenamt. Im Comic hat sie kritische Stimmen vor Verfolgung geschützt und ihnen gleichzeitig internationale Aufmerksamkeit verschafft - mit der Internetseite vote4zahra.org

Termin: Heute Abend, 19 Uhr, Stadtgalerie.

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