EU-Binnenmarkt nützt Deutschland

Gütersloh · Europakritische Parteien haben in der EU gerade in jüngster Zeit viel Zulauf. Ihnen nimmt eine neue Studie Wind aus den Segeln. Ihr Fazit von fast 20 Jahren EU-Binnenmarkt: Alle Länder profitieren.

Weniger statt mehr Zusammenarbeit in Europa - damit gewinnen Europaskeptiker Stimmen. Eine neue Studie hält dagegen: Der EU-Binnenmarkt kennt fast nur Gewinner - und kaum ein anderes Mitgliedsland profitiert so stark wie Deutschland . Die Schweizer Prognos AG hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas über die zwei Jahrzehnte zwischen 1992 und 2012 analysiert. Danach haben die Auswirkungen des Binnenmarktes die reale Wirtschaftsleistung Deutschlands in jedem Jahr um durchschnittlich 37 Milliarden Euro steigen lassen. Das entspreche einem jährlichen Einkommensgewinn von 450 Euro pro Einwohner, heißt es in der gestern verbreiteten Studie. Nur Dänemark - plus 500 Euro pro Kopf - habe höhere Zuwächse erzielt. Untersucht wurde die Entwicklung von 14 der 15 Gründungsstaaten der EU (außer Luxemburg). Der EU-Binnenmarkt trat 1993 in Kraft. Sein Fundament ist der freie Verkehr von Waren, Arbeitskräften, Dienstleistungen und Kapital.

Schlusslicht Portugal

"Die zunehmende europäische Integration hat das Wirtschaftswachstum der beteiligten Länder erhöht", so lautet wirtschaftliche Gesamtbilanz der Prognos-Ökonomen: Gelohnt hat es sich für alle Gründungsländer, allerdings mit starken Unterschieden. Der EU-Binnenmarkt habe besonders jenen Ländern geholfen, die wirtschaftlich sehr eng mit den anderen EU-Ländern verflochten seien, geht aus der Studie hervor.

So hatten die südlichen EU-Länder deutlich geringere Zuwächse als Dänemark, Deutschland oder Österreich (280 Euro). Der durchschnittliche jährliche Einkommenszuwachs, der dem EU-Binnenmarkt zugerechnet werden könne, liege in Italien bei 80, in Spanien und Griechenland bei 70 und in Portugal bei 20 Euro pro Einwohner.

Der EU-Binnenmarkt sei keineswegs vollendet, erklären die Prognos-Ökonomen. Ausbaufähig sei vor allem der europäische Dienstleistungs- und Arbeitsmarkt. "So machen Dienstleistungen gegenwärtig rund 70 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts aus, aber nur 20 Prozent des grenzüberschreitenden Handels zwischen den EU-Ländern." Thieß Petersen von der Bertelsmann-Stiftung erklärt dazu: "Den Menschen muss es leichter gemacht werden, Dienstleistungen auch aus dem Ausland zu beziehen." Zum europäischen Arbeitsmarkt fordert die Stiftung: "Qualifikationen und Abschlüsse sollten unbürokratischer anerkannt werden."

Die Europa-Gegner werden hoffentlich jetzt an ihren so lautstark verfochtenen Positionen zweifeln. Wer weniger Europa fordert, schadet Deutschland . Diesen Schluss legt die Prognos-Studie zum EU-Binnenmarkt nahe. Der hat wie eine hoch dosierte, dauerhafte Konjunkturspritze gewirkt. Die Bundesrepublik zählt dadurch zu den größten Nutznießern der wirtschaftlichen Freiheiten, die der EU-Binnenmarkt gebracht hat. Soll diese Erfolgsgeschichte weitergehen, muss sich Deutschland weiter für Europa öffnen und darf keine Scheu haben, zusätzliche Kompetenzen nach Brüssel zu verlagern. Nur gemeinsam bleibt Europa wirtschaftlich stark. Abschottung macht Deutschland und ganz Europa schwach.

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