Flüchtlinge streiken für ihren Ersatz-Papa

Steinberg-Deckenhardt · Aus Solidarität mit einem entlassenen Koch im Max-Braun-Zentrum ist ein Teil der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Teilzeit-Hungerstreik getreten. Sie bleiben dem gemeinsamen Mittagessen im Speisesaal fern. Grund zur Sorge besteht nach Angaben der Verantwortlichen aber nicht.

 Einer der jungen Flüchtlinge hilft in der Küche. Wie viele seiner Mitbewohner das zubereitete Essen im Max-Braun-Zentrum genießen werden, ist ungewiss. Viele bleiben aus Protest dem Speisesaal fern. Fotos: Matthias Zimmermann

Einer der jungen Flüchtlinge hilft in der Küche. Wie viele seiner Mitbewohner das zubereitete Essen im Max-Braun-Zentrum genießen werden, ist ungewiss. Viele bleiben aus Protest dem Speisesaal fern. Fotos: Matthias Zimmermann

Es ist Donnerstag, um die Mittagszeit im Max-Braun-Zentrum in Steinberg-Deckenhardt . Der Speisesaal ist menschenleer. Von der Küche her sind Geräusche zu hören. Fünf Kriegsflüchtlinge sind dort fleißig am Schnippeln. Sie unterstützen den neuen Koch. Sein Vorgänger sitzt derweil im Aufenthaltsraum, trinkt Kaffee. Theoretisch dürfte Thomas Etringer gar nicht hier sein, denn er hat Hausverbot. Die Tür öffnet sich, ein jugendlicher Flüchtling kommt herein, geht auf den ehemaligen Koch zu und umarmt ihn. Herzlich, vertraut wirkt die Geste. Als Ersatz-Papa für die 54 minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge, die seit Mitte September im Max-Braun-Zentrum untergebracht sind (wir berichteten), hat sich Etringer gesehen. Steinberg-Deckenhardts Ortsvorsteher Hans-Peter Wack (SPD ), der regelmäßig im Jugendzentrum vorbeischaut, beschreibt den Ex-Koch als "Vertrauensperson für die Jugendlichen".

Jetzt ist diese Bezugsperson weg. Entlassen. Seit Montag. Das wollen die Jugendlichen nicht so einfach hinnehmen. Aus Solidarität sind sie seit Tagen in einen Hungerstreik getreten, bleiben dem gemeinsamen Mittagessen fern. Grund zur Sorge sehen die Verantwortlichen nicht, denn in den zehn Ferienhäusern, in denen die Jugendlichen in Gruppen leben, gibt es Kochnischen. Dort werden Frühstück und Abendessen zubereitet. Und dort wird wohl auch heimlich zu Mittag gegessen. Gerührt ist Etringer sichtlich von der Solidarität seiner "Kids". Dennoch sagt er ihnen: "Geht essen!"

Seine Kündigung empfindet Etringer als "schlimm". Gleichzeitig sei es eine Erlösung. Denn er habe täglich zwischen 16 und 18 Stunden gearbeitet. Nach der Entlassung hätten viele Jugendliche geweint. Doch warum musste diese Bezugsperson gehen? Jörg Bernarding, Vorsitzender des Vereins Zeltlager Steinberg, der das Zentrum betreibt, sah für diesen Schritt viele Gründe. So habe Etringer zum Beispiel trotz striktem Rauchverbot auf dem Gelände mit den Jugendlichen gequalmt. Das ginge nicht. Uneinigkeit herrschte zwischen den beiden Männern auch im Bezug auf das Geld für die Grundausstattung, das jedem jungen Flüchtling zusteht. Während Etringer darauf pocht, seinen Schützlingen das Geld sofort zu geben, setzt Bernarding auf eine Teilung des Betrags. "Wir haben einen Erziehungsauftrag und müssen darauf achten, dass die Jugendlichen das Geld auch für Kleidung ausgeben." Deshalb gibt es die 200 Euro in zwei Schritten. Auf Shopping-Tour geht es mit Betreuern.

Etringer fordert mehr Profis

 Thomas Etringer vor seiner ehemaligen Wirkungsstätte. Montag wurde er entlassen.

Thomas Etringer vor seiner ehemaligen Wirkungsstätte. Montag wurde er entlassen.

Das Verhältnis zwischen Koch und Vereinsvorsitzendem ist zerrüttet. Etringer spricht von Missständen in der Flüchtlingsunterkunft. Es gibt einen ausgebildeten Sozialarbeiter . Ginge es nach Etringer, müssten es noch einige mehr sein. Er wünscht sich Profis, die sich um die traumatisierten Jugendlichen kümmern. Und ausreichende Betreuung - auch nachts. Er berichtet von einem Zwischenfall. Nachts seien junge Flüchtlinge verletzt worden. Ein Auto mit eine Gruppe Unbekannter sei aufs Gelände gefahren und habe zugeschlagen. Wohl habe ein jugendlicher Flüchtling, der sich von Anfang an unwohl im Camp gefühlt habe, diese gerufen. Unter dem Vorwand: Er sei in Gefahr. Der Junge lebt jetzt bei seinem Bruder. Eine Anzeige läuft. Etringer sieht dadurch seinen Vorwurf der fehlenden Präsens an Sicherheitspersonal in der Nacht bestätigt. Bernarding kontert: Es gibt einen Security-Mitarbeiter mit einer 50-Stunden-Woche und einen Vertreter. Außerdem patrouilliere nachts mehrmals ein Mann samt Hund auf dem Platz.

Es treffen zwei Macher mit unterschiedlichen Auffassungen aufeinander. Um 14 Uhr ist der Speisesaal noch immer leer. Der Raum wirkt etwas traurig, im Haus pfeift der Wind durch die Ritzen. Beim Einzug der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge hatten sowohl Oberthals Bürgermeister Stephan Rausch als auch Landrat Udo Recktenwald (beide CDU ) Bedenken geäußert, ob sich das Zentrum als Unterkunft eigne. Sozialarbeiter Joachim Volz, der täglich mehrere Stunden mit den jungen Flüchtlingen verbringt, weiß um die schlechte Infrastruktur. Zehn Prozent der 54 Jugendlichen schätzt er als stark traumatisiert ein. Es seien viele junge Mitarbeiter im Max-Braun-Zentrum. Da bräuchte es noch jemanden wie ihn mit Erfahrung, um den Nachwuchs einzuarbeiten. Alles in allem ginge es den Jugendlichen aber nicht "katastrophal schlecht."

Etringer wollte nach eigener Aussage Missstände aufdecken, aber keinesfalls das Ende des Camps. Denn es wäre für die Jugendlichen seiner Meinung nach schlimm, wenn sie jetzt wieder aus der Gemeinschaft rausgerissen würden. > : weiterer Bericht

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