„Leiden werden vor allem die Vereine“

Der neue Präsident des Städte- und Gemeindetages fürchtet gravierende Folgen, wenn die Sozialkosten der Kommunen weiter steigen.

Hand aufs Herz, Herr Fried, wie groß ist Ihre Hoffnung noch, dass die saarländischen Kommunen finanziell gerettet werden können?

Fried: Ich wäre schon froh, wenn es gelänge, dass die immense Verschuldung nicht noch weiter steigt. Deswegen haben wir mit dem Land den Kommunalpakt geschlossen, aber solange die Sozialkosten in Teilen des Saarlandes weiterhin so exorbitant steigen, wird das schwierig.

Die einzige Rettung wäre also der Bund. Und wenn der nicht hilft?

Fried: Dann werden weiterhin die Standards gesenkt, bei den Investitionen wird gespart und die freiwilligen Leistungen werden zurückgefahren.

Mit welchen Folgen?

Fried: Wenn freiwillige Leistungen gekürzt werden, was in vielen Kommunen ja schon passiert, kann die Unterstützung für Soziales, Kultur und Sport nicht wie bisher aufrechterhalten werden. Darunter werden vor allem die Vereine leiden.

Für die Kommunalpolitiker in den Räten muss das unheimlich frustrierend sein.

Fried: Es gibt Kommunen, da geht gar nichts mehr, da gibt es zum Beispiel keine Unterstützung mehr für Musikvereine. Das ist frustrierend, da macht kommunale Selbstverwaltung nicht mehr viel Spaß. Wenn die Standards immer weiter reduziert werden, wenn der Zustand der Straßen oder der Schulgebäude immer schlechter wird, ist auch die Bevölkerung unzufrieden.

Sehen Sie denn eine Bereitschaft seitens des Bundes, den Kommunen zu helfen?

Fried: Wissen Sie, wo das große Problem liegt? Wenn Sie mit einem Bürgermeister aus Baden-Württemberg oder Bayern reden, der versteht das Problem gar nicht, weil die Einnahmesituation der Kommunen im Rest Deutschlands, außer vielleicht in Nordrhein-Westfalen und Bremen, ganz anders ist als im Saarland. Dort wird Geld angelegt, es wird viel gebaut. Es ist daher schwierig, Verständnis für unsere Situation zu erzeugen. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob man beim Bund weiterkommt.

Das Land wird auch in den nächsten fünf Jahren von einer großen Koalition regiert. Eine gute Sache für die Kommunen oder wäre es mit einem rot-roten Bündnis leichter geworden?

Fried: Ich habe den Eindruck, dass sich die große Koalition, was die kommunale Seite angeht, in den letzten Jahren bemüht hat, möglicherweise auch als Ergebnis unserer Demonstration vor dem Landtag im Jahr 2014. Innenminister Klaus Bouillon war lange genug Bürgermeister und kennt die Probleme. Wir haben eine Verbesserung durchgesetzt, aber es reicht nicht.

Was muss die Landesregierung aus Sicht der Kommunen am dringendsten anpacken?

Fried: Das ist relativ einfach. Durch die Flüchtlinge und den Nachzug ihrer Familien ist es dringend notwendig, neue Förderprogramme für den Ausbau der Grundschulen und der Ganztagsbetreuung aufzulegen, ebenso weiter verstärkt den Ausbau der vorschulischen Betreuung zu fördern.

Sie fordern ein Landesentwicklungskonzept des Landes für Bäder, Infrastruktur und ÖPNV. Was sollte da genau drinstehen?

Fried: Die Landesplanung müsste in Abstimmung mit dem Städte- und Gemeindetag mal überlegen, wie man das Oberzentrum Saarbrücken, die Mittelzentren und den ländlichen Raum stärken kann. Bisher habe ich den Eindruck, dass das nicht systematisch passiert, sondern dass finanzielle Unterstützung nach dem Gießkannen-Prinzip gewährt wird. Man müsste zunächst definieren, wo es bestimmte Stärken und Voraussetzungen gibt: Wo ist es zum Beispiel sinnvoll, eine Halle, wie sie jetzt nach St. Wendel kommen soll, hinzubauen? Das Ergebnis könnte ja sein, dass St. Wendel richtig ist. Ein Ergebnis könnte auch sein, dass wir im Saarland nur einen Zoo brauchen und der dann unterstützt wird.

Das Geld ist aber endlich. Wer sagt, was er künftig schwerpunktmäßig unterstützt, muss auch sagen, dass andere kein Geld mehr oder weniger bekommen.

Fried: Das ist schwierig. Ein Kommunalpolitiker, der dazu beigetragen hat, dass der örtliche Landtagsabgeordnete 60 Prozent bekommen hat, wird natürlich zu dem Abgeordneten sagen: Das geht nicht, wenn ich für meine Mehrzweckhalle in den nächsten Jahren nichts mehr bekomme. Deshalb müsste der kommunale Spitzenverband einbezogen werden.

Wie kommt die interkommunale Zusammenarbeit voran?

Fried: Eher schleppend. CDU und SPD haben die Dinge, die sie vor einigen Jahren selbst entwickelt haben, nicht unter einen Hut gebracht. Das Innenministerium sollte eigentlich eine sogenannte Rahmenplanung machen, hat aber nur Gutachten bezahlt. Der große Wurf ist nicht gelungen. Wobei aber konstatiert werden muss, dass gerade das Thema Flüchtlinge alles überlagert und viele Kräfte gebunden hat und übrigens auch gut gehändelt wurde. Die interkommunale Zusammenarbeit muss ganz vorne auf der Agenda bleiben, aber man muss mit Ruhe und Gelassenheit drangehen und nichts übers Knie brechen.

Was müsste die Landespolitik machen?

Fried: Es müsste konkrete inhaltliche Vorgaben und Hilfestellungen des Innenministeriums als Angebote an die Kommunen geben, eine Art Baukasten-System.

Die CDU schließt auch eine Gebietsreform nicht aus. Was sagen die Bürgermeister dazu?

Fried: Der Städte- und Gemeindetag wird sich bei diesem Thema niemals an die Spitze setzen. Es ist überhaupt nicht nachgewiesen, was das finanziell bringen soll. Es muss daher zuerst einmal feststehen, wie hoch die Einspareffekte tatsächlich sind.

Ist der Kommunalpakt, in dem sich Land und Kommunen 2015 auf den schrittweisen Abbau des kommunalen Defizits bis 2024 geeinigt haben, noch einzuhalten?

Fried: Die Kommunen haben damals in einer Protokollnotiz erklärt, dass das Lückenschluss-Modell nicht umsetzbar ist, wenn die Kreisumlagen einbezogen sind - und diese steigen ja weiter.

Der Kommunalpakt ist also unter den jetzigen Rahmenbedingungen nicht mehr einzuhalten?

Fried: Er wird schwer einzuhalten sein, vor allem auch wegen der Flüchtlingskosten.

Schwer oder gar nicht?

Fried: Schwer. Ich muss ja ein bisschen diplomatisch sein.

Die Fragen stellte Daniel Kirch.

Zum Thema:Jürgen Fried ist seit 2009 Oberbürgermeister der Stadt Neunkirchen (46 000 Einwohner). Zuvor war er dort neun Jahre lang Bürgermeister. Der 63-Jährige ist Jurist und war früher als Rechtsanwalt tätig. Seit kurzem ist der SPD-Politiker Präsident des Saarländischen Städte- und Gemeindetages. Dieses Amt behält er bis zum Jahr 2019.

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