Wenn man das Hören wieder lernen muss

Homburg · Reinhard Lippert, 61, und Finn Altmeyer, fünf, trennen zwar viele Lebensjahre: Beide können aber dank eines speziellen Implantats wieder richtig hören. Gestern ging es am Uniklinikum auch um ihre Geschichten.

 Professor Bernhard Schick (links) schaut auf den externen Teil des Cochlea-Implantats von Reinhard Lippert. Ein solches Implantat hat auch der fünfjährige Finn, der gestern mit seiner Mutter Sarah Altmeyer ins Uniklinikum gekommen war. Fotos: Ulrike Stumm/SZ-Redaktion

Professor Bernhard Schick (links) schaut auf den externen Teil des Cochlea-Implantats von Reinhard Lippert. Ein solches Implantat hat auch der fünfjährige Finn, der gestern mit seiner Mutter Sarah Altmeyer ins Uniklinikum gekommen war. Fotos: Ulrike Stumm/SZ-Redaktion

Finn sitzt auf dem Schoß seiner Mutter Sarah Altmeyer, kaut an einer Brezel und schaut, wie man eben als Fünfjähriger so schaut, wenn es ein bisschen langweilig ist. Dabei ging es gestern Mittag in der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO) am Universitätsklinikum in Homburg um ein - für Erwachsene - ziemlich spannendes Thema. Seit zehn Jahren gibt es das Cochlear Implant Centrum (CIC) Saarland. Seitdem helfen des Centrum und die HNO-Klinik gemeinsam dabei, dass hochgradig hörgeschädigte Kinder und ertaubte Erwachsene das Hören wieder lernen können. 1996, erläuterte Professor Bernhard Schick, Leiter der HNO-Klinik, sei in Homburg erstmals ein solches Cochlea-Implantat (CI) operiert worden. Es ersetzt die Funktion des Innenohrs und setzt sich aus zwei Teilen zusammen, dem eigentlichen Implantat, das unter Vollnarkose eingesetzt wird. Es wird hinter dem Ohr unter der Haut platziert, besteht aus einem Elektronikgehäuse und einer Elektrode, 0,3 bis 0,8 Millimeter dünn, die in die Hörschnecke, die Cochlea, eingelegt wird. Der zweite Teil des CI ist das, was man von außen sehen kann: ein externer Sprachprozessor, der am Ohr eingehakt wird. Damals, 1996, habe es noch keine Nachsorgestruktur gegeben, so Schick weiter. Für genau die sorgt nun das CIC, sozusagen als Funktionseinheit der HNO-Uniklinik mit einem interdisziplinären Therapeutenteam. Die Geschichte des CIC sei auch deswegen besonders, da sie als Verein begann, der mit Hilfe einer Stiftung die Hilfe möglich machte. Heute tragen die Kassen die Kosten - auch für die Nachsorgen, betonte Schick gestern. Das Centrum betreue mittlerweile Patienten aller Altersstufen vom Baby bis zu über 80-Jährigen, sagt die CIC-Leiterin Heike Rothe.

Es gehe darum, ein möglichst normales Leben zu ermöglichen, ein Kind beim Erlernen der Sprache zu unterstützen, so dass es in einen Regelkindergarten, eine Regelschule gehen könne. In anderen Fällen werde beispielsweise geschaut, was nötig sei, um wieder im Beruf Fuß zu fassen. Wichtig ist ihnen, dass die Patienten in Homburg eine umfassende Betreuung erhalten und individuelle Lösungen, von der Diagnostik der Schwerhörigkeit über die Implantation bis zur Nachsorge , der technischen Anpassung und der Hör-Sprach-Therapie, die in der Regel ambulant abläuft und in enger Kooperation mit der Familie. Dieses Gesamtkonzept sei in Deutschland nicht gang und gäbe. Homburg sei einer der wenigen Orte, die dies anbiete, unterstrich Schick.

Zwei Patienten , der kleine Finn und Reinhard Lippert, 61, waren gestern gekommen - und erst bei näherem Hinsehen als solche zu erkennen, denn von außen sind lediglich ein Bügel über dem Ohr und eine Art runder Knopf sichtbar. Bei Finn passte dieser äußere Teil des CI sogar zum hellblauen Hemd. Und, ganz wichtig, das CI sei auch alltagstauglich, überlebe sogar kindliche Wutanfälle, bestätigte seine Mutter. Bei Finn stellte die Familie erst einige Zeit nach der Geburt fest, dass er nicht in die "Lallphase", in der Babys erste Lautkombinationen ausprobieren, kam. Sie gingen mit ihm zu diversen Ärzten, bis sie dann in der HNO in Homburg gelandet seien, berichtet Sarah Altmeyer. Die Untersuchungen ergaben: eine Seite war komplett ertaubt, auf der anderen hörte er noch teilweise. Zunächst bekam er nur auf einer Seite ein CI, später dann auch auf der anderen.

Lippert ist schwerhörig seit er 18 war. Nach einem Knalltrauma sei er zunächst ganz taub gewesen, das habe sich aber wieder gegeben. Bis zum sechzigsten Lebensjahr habe er immer schlechter gehört, im vergangenen Jahr wurde er dann operiert. Heute kann er dem CI sogar hohe Belastbarkeit bescheinigen, wenn er seinem Hobby, dem Laufsport , nachgeht.

"Hören mit dem CI ist ein Lernprozess, der Geduld und Übung erfordert", betonte Heike Roth. Genau die fehlte Finn aber gestern beim Fototermin: Er drehte ohne rechte Lust am Steuerrad eines großen Holzschiffes und wollte lieber wieder in den Kindergarten zu seinen Freunden - ganz normal also für einen Fünfjährigen.

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