Wissen, wo die Pfote drückt

Saarbrücken · Krankengymnastik gibt's nicht nur für Menschen. Bei Tier-Physiotherapeutin Nina Reiber in Saarbrücken stehen die Pelzträger Schlange.

 Neufundländer Casper sieht nicht wirklich glücklich aus. Kein Wunder, seit einer Operation hat er Schmerzen. Therapeutin Nina Reiber weiß, wie sie ihm helfen kann. Die 33-Jährige ist seit zehn Jahren Tierkrankengymnastin. Fotos: Rich Serra

Neufundländer Casper sieht nicht wirklich glücklich aus. Kein Wunder, seit einer Operation hat er Schmerzen. Therapeutin Nina Reiber weiß, wie sie ihm helfen kann. Die 33-Jährige ist seit zehn Jahren Tierkrankengymnastin. Fotos: Rich Serra

Amira grunzt. Ein gutes Zeichen, obwohl sie kein Schwein ist. "Dann ist sie entspannt", sagt Nina Reiber, die sich auf einer blauen Bodenmatte über ihre Patientin beugt. Amira hätte allen Grund, nervös zu sein. Eine Artgenossin hatte sie böse angegriffen, beim Tierarzt war sie schon, und jetzt auch noch das hier. Aber die zehnjährige Schäferhündin liegt ganz still - und überlässt sich den Händen der Zweibeinerin, die aussieht, als wisse sie, was sie tut.

Sie weiß es. Nina Reiber tastet behutsam Amiras Muskeln und Gelenke ab. Die Finger suchen nach Verspannungen, massieren, zwischendurch kraulen sie. Weil die Patientin nicht spricht, achtet die 33-jährige Therapeutin auf andere Signale, ein Zucken, ein Augenpetzen. "Es ist eben eine andere Form der Kommunikation", sagt die Arzttochter, die schon immer heilen wollte - nur eben unter Fell statt unter Haut. Reiber ist Krankengymnastin. Für Hunde, Katzen und Co.

In ihrer Saarbrücker Praxis, der Tierphysio Saarpfalz, behandeln die Chefin und ihr Team pro Woche rund 70 Haustiere, deren Bewegungsapparat geschädigt ist. Nach einer OP oder einem Unfall, durch eine Lähmung oder eine Arthrose - die Krankheitsbilder ähneln denen in der Menschen-Krankengymnastik. Die Behandlungsmethoden auch, es gibt Bewegungs- oder Elektrotherapie, Akupunktur, Massagen oder Wärmebehandlung. Wie bei Menschen kommen Laufbänder und Ultraschall zum Einsatz, Bandagen und Bodenmatten. Bloß liegen eben kranke Tiere drauf - wie Amira.

Deren Frauchen, Andrea Geisbauer, ist "absolut überzeugt" von der Tier-Physio. "Ich war schon öfter hier und ich sehe ja den Erfolg", sagt sie. Im Prinzip funktioniert Physiotherapie - Heilung durch spezielle Bewegungen oder physikalische Reize - bei allen Wirbeltieren. Trotzdem: Frauchen und Therapeutin kennen auch Leute, die Vorbehalte haben, das Angebot abtun als übertriebene Tierliebe, absurd in Zeiten von Massentierhaltung, Hokuspokus am Vierbeiner. Als Nina Reiber vor zehn Jahren in den Beruf einstieg, wurde auch sie belächelt, etwa von Tierärzten. "Heute ist die Zusammenarbeit sehr gut." Zumal sichtbar sei, "dass es dem Tier nach der Therapie besser geht".

Darauf hofft auch Neufundländer Casper - ebenfalls Patient. Der junge Wonneproppen wurde am Ellbogen operiert, seither knickt er noch oft ein. Kein Wunder, Casper wiegt mehr als 50 Kilo. Nina Reiber weiß auch hier, wo die Pfote drückt, beziehungsweise das Gelenk schmerzt. Wieder massiert sie, diesmal auf einer Liege. Dann bestrahlt sie den Hundearm mit einem Laser. Casper schaut skeptisch, lässt es aber geschehen.

Die meisten Patienten der Praxis sind Hunde. Katzen seien in ihrem Bewegungsapparat weniger empfindlich, bräuchten also seltener Hilfe, sagt Reiber. Auch einen grünen Leguan mit Wirbelverformung hatte sie aber schon auf der Matte. Die Saarländerin hat ein Herz für alle Tiere. Sie zu heilen war immer der Traumberuf der jungen Mutter, die auch zwei eigene Hunde hat. Weil sie den Tiermedizin-Studienplatz knapp verpasste, wurde sie Tierarzthelferin, dann Therapeutin. "Ich bereue nichts. Im Gegenteil." Ihre Praxis laufe sehr gut. Genau wie die ganze Heimtierbranche in Deutschland (siehe Infobox).

Vor 25 Jahren hätten Amira oder Casper noch nicht zur Physio gehen können, denn der Heilberuf ist noch jung. "Viele wissen gar nicht, dass es das gibt", sagt Reiber, deren Kleintier-Praxis die größte ihrer Art im Saarland ist. Die meisten ihrer Patienten werden von Tierärzten hergeschickt, sagt Reiber, die auch Vorsitzende des Bundesverbands zertifizierter Tierphysiotherapeuten ist. Ihre Praxis ist zudem die landesweit einzige Schule für angehende Tierphysiotherapeuten.

In den 90er-Jahren schwappte der Heilberuf nach Deutschland - vor allem aus Holland, wo die Branche schön länger boomt. Bundesweit gibt es nunmehr bis zu 3000 Tierkrankengymnasten, schätzte die Uni Göttingen 2014 in einer Studie. Im Saarland seien rund 20 Kollegen aktiv und tauschten sich in einem Netzwerk aus, sagt Nina Reiber. Die meisten haben kleinere Praxen, wie Netzwerk-Kollegin Margret Klein-Raber aus Siersburg. Sie ist Human- und Tierphysiotherapeutin - eine häufige Kombination. "Die Theorie ist ja ähnlich, nur in der Praxis geht es dann anders zu." So nutze es wenig, den tierischen Patienten Anweisungen wie "Und jetzt mal abrollen" zu geben. Es ist ein angeleitetes Reha-Training, das Halter dann daheim mit ihren Tieren weitermachen sollten.

Staatlich anerkannt ist der Nischen-Beruf nicht, sagt Reiber, "weil einfach die Lobby fehlt. Aber wir kämpfen dafür". Auch, damit schwarze Schafe entlarvt werden - die ohne Prüfung behandeln. Tierbesitzer sollten immer auf Therapeuten achten, die von Fachverbänden zertifiziert sind, rät Reiber. Schließlich soll das Tier keinen Schaden nehmen, und schließlich kostet jeder Therapie-Besuch Geld.

Aber die Tierfreundschaft hört beim Geld nicht auf - im Gegenteil. Die Gesundheit ihrer Tiere lassen sich die Deutschen laut der Göttinger Studie 2,1 Milliarden Euro im Jahr kosten. Vor allem beim Tierarzt kann es dabei schnell teuer werden. In Reibers Praxis kostet eine Erstanalyse 69 Euro. 35 sind es für die übliche 40-Minuten-Therapie. 39 Euro, wenn auch das gelenkschonende Unterwasserlaufband, ein Highlight der Praxis, mit benutzt wird.

Das sei gar nicht teuer - und ohnehin nicht der Punkt, findet Amiras Frauchen. "Wer sein Tier liebt, zahlt alles, was er kann". So denken die allermeisten Tierbesitzer, sagt Nina Reiber. Und umgekehrt: Für verrückt hielten das meist nur Leute, die keine Tiere haben. "Es ist nicht der Geldbeutel, der hier entscheidet, sondern die Beziehung zum Tier."

Die Patienten Amira und Casper halten es für entscheidend, nach der Behandlung ein Leckerli abzustauben. Haben sie auch verdient. Amira geht es schon wieder ganz gut, Casper wird noch öfter kommen müssen. Erstmal dürfen sie aber heim. Vor der Tür warten schon die nächsten Patienten.

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 Teamarbeit: Schäferhündin Amira kuschelt sich an Frauchen Andrea Geisbauer (l.), während Therapeutin Nina Reiber untersucht.

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Für Hund und Katz' ist nichts zu teuer Rund 30 Millionen Haustiere leben in deutschen Haushalten, darunter rund 13 Millionen Katzen und acht Millionen Hunde. Der Heimtiermarkt boomt. Laut des Industrieverbands Heimtierbedarf gaben die Deutschen 2015 allein für Tierzubehör und Futter 4,5 Milliarden Euro aus. Kommen Posten wie Arzt- und Therapiekosten hinzu, ergibt sich ein Jahresumsatz von 9,1 Milliarden Euro, bilanzierte die Universität Göttingen 2014.

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