„Helfen Sie meinem Kind!“ - In Elversberg werden „tierische Familienmitglieder“ versorgt

Elversberg · Durchschnittlich 150 Fälle werden täglich in der größten Tierklinik des Saarlandes in Elversberg behandelt. Sie ist mit modernsten Geräten ausgerüstet. Wie funktioniert Veterinär-Medizin auf höchstem Niveau?

Früher waren sie nur Wuschel, Mimi oder Hansi. Heute heißen sie Rocky Raber, Maxi Meier oder Sammy Schröder. Zumindest, wenn man in der Elversberger Tierklinik von ihnen spricht. "Meine Patientin" nennt Klinikchef Dr. Alexander Pack denn auch die 13 Monate alte und zwölf Kilo schwere Elli Warken. Die französische Bulldogge ist hinreißend charmant bis zu dem Moment, da Pack ihr den Venenzugang legt.

Die französische Bulldogge knurrt nicht, sie gurgelt und faucht in nie gehörten Hunde-Tönen. Es wird ein staunenswertes Geheimnis bleiben, wie der magische Fixiergriff von Helferin Jasmin Schwenk funktioniert, der strikte Beißhemmung verursacht und gleichzeitig beruhigendes Kraulen ermöglicht. Vermutlich mischt sich bei den Tierklinik-Mitarbeitern Training und Tollkühnheit. Böse Bisse? Die fange man sich privat, aber nicht bei der Arbeit, hört man aus dem Team.

Kurz darauf landet die narkotisierte Elli in der OP-Vorbereitung: Ihr Unterbauch wird rosa-kahl rasiert, ein Staubsauger saugt die Haare weg. Anschließend landet Elli bei Pack auf dem Tisch: in Rückenlage, die Pfoten neben dem Kopf, die Hinterbeine nach außen gespreizt. Ihr Bauch wölbt sich wie ein Zelt. Doch trotz Kreuzigungshaltung alles ist bestens. Für Ellis Kas tration wurde das fortschrittlichste und schonendste Verfahren gewählt: eine Schlüsselloch-OP. Der minimal-invasive Eingriff macht einen Riesenschnitt überflüssig und erlaubt eine exakt dosierbare, schonende Inhalationsnarkose. 680 Euro werden Ellis Besitzer dafür zahlen, rund 200 Euro mehr als für das herkömmliche Verfahren.

"Passen Sie gut auf unsere kleine Maus auf!", hat Margret Warken Doktor Pack noch zugerufen, bevor Elli aus dem Sprechzimmer getragen wurde. Viel öfter hören Pack und seine Kollegen die Formulierung "Helfen Sie meinem Kind!" Sie stellen fest: "Tiere werden als Familienmitglieder wahrgenommen." Laut Statistik leben allein rund zwölf Millionen Katzen und knapp 7,5 Millionen Hunde in deutschen Haushalten. Futter und Pflege sind ein Milliardengeschäft. Und während die Mehrzahl der Herrchen und Frauchen als Kassenpatienten behandelt werden, sind ihre Hausgenossen Privatpatienten . "Die Leute wollen das Optimum an medizinischer Versorgung für ihre Tiere", sagt Pack.

Die Tierklinik ist moderner und großzügiger eingerichtet als so manche humanmedizinische Praxis. Es gibt geräumige Einzel-Sprechzimmer, lichtdurchflutete OP-Räume, unzählige Labor- und Computerplätze, eine eigene Apotheke. Die diagnostische Geräteausstattung ermöglicht von der Blut-Analyse über die Ultraschall-Kardiologie bis zur Computer-Tomographie (CT) so ziemlich alles, was die Herzen passionierter Mediziner erfreut. Und so herrscht in Elversberg trotz eines straff organisierten Miteinanders eine blendende Stimmung. Es wird viel gelacht.

Fördern Tiere gute Laune? Tiere schon, einige ihrer Besitzer weniger. "Machen Sie ihn weg!" - auch diesen Satz kennen die Ärzte nur zu gut. Dr. Sandra Kehr und Dr. Karl Scherer erzählen harte Geschichten von Züchtern, die sie drängen, Welpen mit kleinsten Beeinträchtigungen einzuschläfern. Auch treffen sie immer häufiger auf hochpreisige Rasse-Hunde, die angeblich aus "Tötungsstationen" stammen, in Wirklichkeit jedoch von einer Hundemafia zu Dumping-Preisen auf den Markt geschleudert werden. Hier Überversorgung, dort Brutalität: "Es ist nicht immer leicht, das Wohl des Patienten durchzusetzen", sagt Kehr.

Wie im Fall des Mischlings Maja. Die zwölf Jahre alte Hündin hat Blut geniest. Die CT bringt einen bösen Befund: Nasentumor, die Knochen sind bereits zerfressen. Das Tier liegt noch betäubt in der Röhre, draußen wartet die Familie. "Wenn es mein Hund wäre, ich würde ihn nicht mehr aufwachen lassen", sagt Dr. Scherer. Er weiß, er hat ein schweres Gespräch vor sich. Ethische Fragen beschäftigen auch Tiermediziner. "Bei der Euthanasie den richtigen Zeitpunkt zu finden, da tun wir uns sehr schwer", sagt Scherer. Manchmal bestünden Besitzer darauf, das Tier zu Hause "natürlich" sterben zu lassen: "Das ist aber oft kein sanftes Einschlafen, sondern ein Verrecken."

Warum wird man Tier- und nicht Menschenarzt? "Bei uns herrscht noch keine überbordende Dokumentationspflicht. Wir können uns ganz auf den Patienten konzentrieren", sagt Dr. Scherer. Sechs Ärzte und etwa zwölf Mitarbeiter sind pro Schicht im 24-Stunden-Einsatz, durchschnittlich 150 Fälle werden täglich versorgt. Eine Fließband-Arbeit? Wie ein Schweizer Uhrwerk läuft es rund auf 1000 Quadratmetern, von der Anmeldung bis zur Aufwach- und Kranken-Station, wo 25 Übernachtungsplätze zur Verfügung stehen - vor allem für ungeklärte Fälle wie der von Katze Kara. Verdacht auf Krebs. Sie frisst nichts, wird mit Wärmelampen warm gehalten.

Mittags, zwischen 13 und 14 Uhr, wird Karas Befinden, ihre Medikation und ihre Weiterbehandlung im großen Ärzte- und Mitarbeiterkreis besprochen. Das ist die "Visite", die, anders als im Krankenhaus, nicht am Krankenbett stattfindet. "Der Patient kann uns ja selbst nichts über sein Befinden mitteilen", erklärt Dr. Pack.

Was würde Jack-Russel-Terrier Benno dann wohl über seine strapaziösen "Ausschlussdiäten" erzählen? Er gehört zu den zehn Prozent Allergikern unter den Hunden. Wäre man vor 20 Jahren damit zum Tierarzt? Kaum.

Oder damit: Mops Rüdiger leidet unter "nächtlichem Schmatzen". Er schläft am Bettende von Claudia B. und lässt sich nur durch Verabreichen von Reiswaffeln zum Wiederhinlegen und Nicht-Mehr-Schmatzen bewegen. Claudia B. ist selbst Tierärztin, doch am Ende ihrer Dia gnose-Möglichkeiten. Jetzt soll die Spezialistin, die Internistin in Elversberg , ran: "Ich möchte die Ursache abklären lassen", sagt Claudia B. Ist Rüdiger gallenkrank oder hat die Bauchspeicheldrüse einen Schaden? Weder noch. Beruhigt verlässt Claudia B. die Klinik. Hat man sich versehen? Rüdiger scheint zu grinsen.

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Auf einen Blick52 Angestellte hat die Tierklinik Elversberg , davon sind 21 Tierärzte. Die Klinik gibt es seit 2003, 2007 erfolgte der Neubau in der Hüttenstraße 20, 2012 wurde erweitert.30 Prozent der Tiere werden von Tierarzt-Kollegen überwiesen. Die Klinik bietet einen 24-Stunden-(Not-)Dienst. Außer in Elversberg gibt es im Saarland drei weitere größere Tierkliniken: die Tierklinik Köllertal, die Tierklinik Arz (Saarbrücken) und die Pferdeklinik in Altforweiler. Elversberg ist die größte Einrichtung. Preise: Es gibt eine Gebührenordnung für Tierärzte (GOT). Dort werden Minimalpreise aufgelistet. Der Tierarzt kann bis zu drei Mal höhere Sätze verlangen. ce

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