Poltern und polarisieren – das Prinzip Gabriel

Im Bundestag macht Sigmar Gabriel nicht den Eindruck, als ob in den vergangenen Tagen etwas schiefgelaufen wäre für ihn. Früh betritt der Wirtschaftsminister und SPD-Chef vor seiner Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht das Plenum, er schart ein paar Abgeordnete um sich, scherzt und lacht.

Dabei war die Woche für ihn politisch holprig. Einziger Vorteil für Gabriel: Er war mal wieder in aller Munde.

Der Anzug schlackert, in der sächsischen Schweiz hat der Vizekanzler ein paar Pfunde abgenommen. Er wirkt frischer, ausgeruhter und konzentrierter am Rednerpult des Bundestages. Applaudiert wird von seinen Genossen viel, als er den Sinn des Mindestlohns beschwört, die Entwicklung des Niedriglohnsektors geißelt oder davon spricht, dass das Land von mehr Offenheit profitiere. Dabei war vor wenigen Tagen die Stimmung unter seinen Parteifreunden noch eine andere. Denn heute vor einer Woche war Gabriel überraschend in Lederjacke und Pulli bei einer Diskussion zu Pegida in Dresden aufgetaucht. Ohne Rücksprache mit dem Parteipräsidium, ohne Rücksicht vor allem auf die eigene Generalsekretärin. Yasmin Fahimi hatte zuvor beklagt, die islamkritische Bewegung "schürt Ressentiments und Hass und versucht, einen Keil durch Deutschland zu treiben". Sie sei gegen einen Dialog. Zur Begründung legte Fahimi, die einen iranischen Vater hat, zusätzlich noch Hass-Mails vor, die gegen sie persönlich gerichtet waren. Ein starker Auftritt der sonst eher unscheinbar agierenden Genossin war das.

Doch was kümmert es den Vorsitzenden? Der Affront war da, ein Vier-Augen-Gespräch der beiden nötig. Selbst das ZDF fühlte sich berufen, am Mittwochabend ein "Was nun, Herr Gabriel?" zu senden. Da ließ es der SPD-Chef und mögliche Kanzlerkandidat ordentlich menscheln, gab sogar den Versteher von Pegida-Mitläufern. Viele Bürger hätten das Gefühl verloren, "dass sie in der etablierten Politik Gehör finden". Er habe bei seiner ersten Wahl zum SPD-Chef in Dresden 2009 gesagt, man müsse auch dort hingehen, wo es unangenehm ist, "wo es riecht und gelegentlich auch stinkt". Damals habe er dafür den meisten Beifall bekommen, betont er in der Sendung. Als ob die Partei davon nichts mehr wissen wollte. Aber Pegida kratzt am solidarischen Selbstverständnis vieler Sozialdemokraten. Auch das ist Fakt.

Großer Ärger in der Partei, dafür aber auch maximale öffentliche Aufmerksamkeit - man kann es das "Prinzip Gabriel" nennen. Er ist einer, der politischen Instinkt hat, der auf Stimmungen gerne aufspringt und das mit einer gewissen barschen Rücksichtslosigkeit. Im Willy-Brandt-Haus können sie davon ein Lied singen. Als Minister, das bescheinigen ihm sogar die Wirtschaftsleute von der Union, sei er aber verlässlich, solide, er könne zuhören und zeige sich aufgeschlossen. Als Parteilenker gehen freilich mal die Pferde mit ihm durch.

Offenbar vor allem dann, wenn er sich unterfordert fühlt. Viele Genossen erinnern sich mit Grausen daran, wie er vor zweieinhalb Jahren in Elternzeit ging, um dann trotzdem die Medien mit allerlei kunterbunten Vorschlägen zu füttern. Gabriel kann einen Saal in Wallung bringen, auch hat er keine Scheu vor Leuten. Dann ist er schnell auf Touren.

Apropos Ideen: Gar nicht gut kam in der großen Koalition an, dass Gabriel nach den Attentaten in Paris sofort eine Demonstration aller Parteien gegen Rassismus vorschlug. Damit setzte er die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel unter Druck. Merkel soll wenig amüsiert gewesen sein über den Alleingang ihres Vizekanzlers. Klammheimlich wurde das Unterfangen wieder zu den Akten gelegt, stattdessen beteiligte man sich an der Mahnwache der muslimischen Verbände.

So geht es häufiger mit Gabriels Ideen. "Grenzen des Denkens" dürften keine Rolle mehr spielen, sagt er bei seiner Rede im Bundestag, die Merkel mit einem freundlichen Nicken bedenkt. Grenzen - die kennt der Politiker Gabriel selbst auch nur selten.

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