Geliebt, gefürchtet, ausgestopft

München · Wie ein netter Teddy benahm er sich nicht. „Bruno“ fraß Schafe, plünderte Hühnerställe und lief mitten durch Orte. Diagnose: ein Problembär. Vor zehn Jahren kam das Tier aus Italien nach Bayern und endete dort im Museum.

 Nach 1400 Stunden Präparationsarbeit hat Problembär Bruno im Museum seine letzte Heimat gefunden.

Nach 1400 Stunden Präparationsarbeit hat Problembär Bruno im Museum seine letzte Heimat gefunden.

Die einen feierten ihn als Freiheitshelden und Mahatma Gandhi der bayerischen Wälder. Die anderen forderten seinen Tod. Im Sommer 2006 streifte Braunbär "Bruno" durch den Freistaat, stahl Honig, riss Schafe - und sorgte weltweit für Schlagzeilen. Nach nicht mal zwei Monaten wurde er abgeschossen: zu gefährlich für das zivilisierte und dicht besiedelte Bayern. Seither kam kein Bär mehr. In Österreich sind Bären seit einigen Jahren wieder verschwunden, und in "Brunos" Heimatland Italien sieht man sie inzwischen mit Skepsis.

2006 im Mai, als die Welt sich auf die Fußball-WM in Deutschland vorbereitet, ist der junge Bär aus dem Trentino in Österreich Richtung Bayern unterwegs. Dort fiebert man ihm entgegen. Der damalige Umweltminister Werner Schnappauf (CSU ) spricht ihm ein herzliches Willkommen aus. "Wir wollen wirklich ein netter Gastgeber sein." Am Wochenende des 20. und 21. Mai 2006 setzt "Bruno" als erster Braunbär seit 170 Jahren seine Tatzen auf bayerischen Boden - und hinterlässt gleich eine blutige Spur: Im Graswangtal bei Garmisch-Partenkirchen reißt er drei Schafe . Tags darauf werden vier Tiere tot gefunden.

Die Stimmung kippt. Was die Behörden am meisten beunruhigt: "Bruno" wagt sich nah an Orte heran - es könnte gefährliche Begegnungen mit Menschen geben. "Wir haben dann einen Unterschied zwischen dem normal sich verhaltenden Bär, dem Schadbär und dem Problembär. Und es ist ganz klar, dass dieser Bär ein Problembär ist", erläutert der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU ) die Sache. Bruno wird zum Abschuss frei gegeben. Tierschützer sind empört. "Ich hatte weinende Tierfreunde am Telefon: `'Ihr müsst ihn retten'", erinnert sich Jörn Ehlers vom WWF. Der Umweltverband lässt aus den USA eine Bärenfalle einfliegen, eine Alu-Röhre: "Bruno" soll in ein Wildgehege, ist nun das Ziel. Rund um den Globus verfolgen Menschen sein Schicksal. Es sei das einzige Mal gewesen, dass er Anrufe von der "Washington Post" und der "New York Times" bekommen habe, sagt Ehlers.

Der frühere Münchner Zoo-Direktor Henning Wiesner bietet an, das gut 100 Kilo schwere Tier per Blasrohr-Schuss zu betäuben. Die Idee, den jungen Bären mit einer Bärendame anzulocken, wird schnell verworfen. Bären werden erst mit vier bis fünf Jahren geschlechtsreif. Bruno ist aber erst zwei und interessiert sich noch nicht für weibliche Reize. Er sei nur scharf auf Schafe , erklärt ein Ministeriumssprecher.

Mit seinen Eskapaden zieht "JJ1" - Erstgeborener von Mutter Jurka und Vater José - Sympathien auf sich. Im Internet werden Wetten abgeschlossen: Fliegt Deutschland bei der WM hinaus oder wird "Bruno" gefangen? Es gibt Solidaritäts-T-Shirts mit Aufdrucken wie "JJ Guevara" oder "Mich kriegt ihr nie". In den Medien ist er längst "Braunbär Bruno Superstar".

Bayern holt für Zehntausende Euro finnische Bärenjäger mit Elchhunden. "Bruno", der viele hundert Kilometer zurücklegt, scheint sie nur zu narren. Er läuft durch den Ort Kochel, rastet unter den Augen von Kneipengästen direkt vor der Polizei - um sich aus dem Staub zu machen, bevor die Finnen dort eintreffen. Nach zwei Wochen reisen sie ab. Schließlich wird "Bruno" erneut zum Abschuss freigegeben - am 26. Juni wird er im Rotwandgebiet erlegt. Der Schütze ist unbekannt. Morddrohungen kursieren. Die Emotionen schlagen hoch. "Er war der Mahatma Gandhi der bayerischen Wälder", schreibt ein Fan.

Ehe "Bruno" ausgestopft als Honigdieb neben großen Grizzlys im Münchener Museum "Natur und Mensch" im Schloss Nymphenburg ausgestellt wird, liegt er ein Jahr lang tiefgefroren an einem geheimen Ort. Zwischen Rom und München sorgt der gefrorene Bär zeitweise für frostige Stimmung: Rom pocht vergebens auf die Auslieferung des Kadavers, da Bruno zum Bären-Projekt gehörte und darum Eigentum Italiens sei.

 Dieses Foto von Bruno, aufgenommen in Reutte, Tirol, ging durch die Medien. Fotos: dpa

Dieses Foto von Bruno, aufgenommen in Reutte, Tirol, ging durch die Medien. Fotos: dpa

Inzwischen ist es ruhig geworden um Bruno. Weitere Problembären seien nicht in Sicht. Die Population in Österreich, die vor zehn Jahren gut 20 Tiere umfasste, gibt es nicht mehr. "Viele sind spurlos verschwunden. Von einigen weiß man, dass sie gewildert wurden", sagt Roland Gramling vom WWF.

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