Predigt gegen die leeren Kirchenbänke

Bonn/Saarbrücken · Viele Kirchenbänke bleiben sonntags verwaist. Um dem Abhilfe zu verschaffen, werden nun flexiblere Zeiten für die Gottesdienste diskutiert. Und eine neue Leseordnung für mehr Abwechslung in der Predigt.

Zu besonderen Anlässen fällt die Besucherquote höher aus: Laut Umfragen gehen zwischen 40 und 45 Prozent der Deutschen an Weihnachten in die Kirche, vor allem an Heiligabend. Dass die Kirchenbänke an normalen Sonntagen und im Alltag häufig leer sind, führt eine neue Studie auch darauf zurück, dass es ein immer breiteres Freizeit- und Unterhaltungsangebot gibt. Eine aktuelle Diskussion in der evangelischen Kirche setzt genau dort an: "Wir müssen über den Sonntagmorgen neu nachdenken", sagte die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, zu Beginn dieser Woche.

Konkret: Gottesdienste zu einer späteren Uhrzeit könnten auch junge Leute und Familien ansprechen, die gerne ausschlafen. Die Lebensgewohnheiten der Menschen hätten sich verändert. Ähnlich äußerte sich der Religionssoziologe Detlef Pollack, einer der Autoren der Studie "Religion in der Moderne". Glaube und Spiritualität "hängen auch von sozialen Bedingungen ab", so seine Einschätzung. Vielen Menschen sei heute die Zeit mit der Familie oder auch der Besuch im Fußballstation wichtiger als der Gottesdienstbesuch.

Familien-, Schul- und Kindergottesdienste sind bei beiden großen Kirchen seit langem Teil des Angebots. Vor allem in Städten gibt es zudem spezielle Feiern für Singles oder für Menschen mit Behinderung. In ländlichen Gegenden locken Messen oder Abendmahlfeiern unter freiem Himmel. Wichtig, so betonte Kurschus, sei vor allem eine gewisse Regelmäßigkeit der kirchlichen Angebote.

Der Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts, Eberhard Amon, glaubt nicht, dass die Besucherzahlen wesentlich vom Termin abhängen. "Wer sonntags ausschlafen möchte, möchte vielleicht auch am Nachmittag lieber einen Ausflug machen als in die Kirche zu gehen", sagte er am Mittwoch.

Um mehr Abwechslung im Gottesdienst zu bieten, wird zudem gerade in etwa 5000 evangelischen Kirchengemeinden eine neue Ordnung für Lese- und Predigttexte erprobt, also eine veränderte sogenannte Perikopenordnung. Es sollen mehr Texte im Gottesdienst gelesen werden, um dem Reichtum der biblischen Geschichten gerecht zu werden. Der Anteil des Alten Testaments an den Texten wird von einem Fünftel auf fast ein Drittel erhöht. Psalmen dürfen jetzt Grundlage von Predigten sein und werden ausführlicher gelesen. Dafür bekommen die theologisch recht anspruchsvollen Brieftexte (Episteln) weniger Gewicht. Auch neue Wochenlieder wurden in die Ordnung aufgenommen.

Der Theologe und Rhetoriker Frank Peters, Leiter der Arbeitsstelle Gottesdienst der Evangelischen Kirche im Rheinland, beschreibt durchaus selbstkritisch den herkömmlichen Gottesdienstablauf so: "Oft tritt irgendeiner vorne auf, liest was vor, und man denkt, gut, das hätte ich besser vorgetragen, war nicht so prickelnd, hoffen wir auf die Predigt." Die gelesenen Texte im Gottesdienst liefen als "weltliches kulturelles Gedächtnis" nebenher. "Irgendwie weiß man, was da drin steht, aber es spricht mich auch nicht mehr an."

Dafür seien die Bibeltexte aber "zu schade", meint Peters. Es müsse deutlich werden, "dass diese Texte heute Relevanz haben". Vor allem das Alte Testament soll mehr Gewicht bekommen, denn die Juden seien ja "nicht einfach nur Vorläufer" der Christen gewesen. Auch Frauen rücken demnach stärker in den Blick. Überhaupt sollen im Gottesdienst mehr Bezüge zur modernen Arbeitswelt hergestellt werden.

Auch im Saarland werden bereits neue Texte ausprobiert, etwa durch Pfarrer Joachim Conrad in Püttlingen, Pfarrerin Christine Unrath in St. Wendel oder Pfarrerin Britt Goedeking in Neunkirchen. Der Kirchenkreis Saar-West hat sich außerdem bereits für die neue Ordnung ausgesprochen, in Saar-Ost wird am kommenden Samstag votiert. Die neue Ordnung soll dann bundesweit mit dem Rückenwind des 500. Reformationsjubiläums 2017 beschlossen werden.Herr Conrad, Sie probieren die neue Leseordnung bereits seinem einem halben Jahr aus. Was genau ist daran neu?

Conrad: In den alten Textauswahlen gibt es Texte mit sehr lehrhaftem Charakter. Das führt oft zu Fragezeichen auf der Stirn der Leute. Jetzt hat man gesagt, wir machen lieber Texte, in denen der Vorbildcharakter ins Zentrum tritt: Was soll ich als Christ tun? Und nicht so sehr betonen, was die Kirche schon immer gelehrt hat. Das ist eine Akzentverschiebung.

Also soll es lebensnäher sein?

Conrad: Die Leute müssen ja irgendwas mitnehmen können. Die müssen Anworten bekommen auf Fragen aus ihrem Leben, nicht wie das früher mal war oder was die Geschichte schon immer gesagt hat. Sondern: Was soll ich mit dieser Botschaft? Die Leute in meiner Gemeinde finden das bisher überwiegend inspirierend.

Die westfälische Präses hat vorgeschlagen, Gottesdienste später zu feiern, um mehr Leute in die Kirche zu locken.

Conrad: Das gibt es alles schon in allen Varianten. Samstag-Gottesdienste um 18 Uhr, sonntags um 12 Uhr. Ich habe an Feiertagen auch Gottesdienst um 17 Uhr.

Und bringt das was?

Conrad: Das ist gar nicht so entscheidend. Fakt ist, die Gottesdienste an Feiertagen um 17 Uhr sind die am schlechtesten besuchten. Das interessiert keinen, um die Zeit haben die Leute Familiengeschichten. Früher waren die 18-Uhr-Gottesdienste am Samstag die beliebtesten Taufgottesdienste. Mittlerweile sind das die Gottesdienste sonntags um 10.30 Uhr. Weil die Leute danach brunchen.

An der Uhrzeit liegt es also nicht.

Conrad: Das sind nur scheinbare Heilmittel. Wer einen Gottesdienst besuchen will, findet in der Regel irgendwo ein Angebot nach seinem Gusto. Die Leute nehmen es aber nicht wahr, weil sie gar nicht die Absicht haben, es wahrzunehmen. Sondern sie wollen nur sagen, was die Kirche tun müsste, damit sie modern wird. Dass sie das längst tut, hat niemand bemerkt.

Wie könnte man die Leute dann besser ansprechen?

Conrad: Wenn ich boshaft wäre, würde ich sagen: Solange wir alle gut im Futter stehen, werden die Kirchen leer sein. Aber warten wir es ab. Man hat schon zu allen Zeiten immer alles Mögliche ausprobiert. Und am Ende findet sich das von selbst. Ich glaube, die Pfarrer und Pfarrerinnen sind gut beraten, genau hinzusehen: Was braucht unsere Gemeinde? Und dann macht man das. Aber nicht von oben verordnet, das geht schief.

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HintergrundEin guter Prediger muss auch ein Performer sein. Er kennt Techniken, mit denen er Spannung erzeugt und den roten Faden erkennbar macht. Das findet zumindest Kathrin Oxen, die Leiterin des evangelischen Zentrums für Predigtkultur in Wittenberg. Weiter veruteilt sie im Gespräch mit der Berliner Wochenzeitung "Die Kirche" Reden nach dem Motto "Der Heilige Geist allein wird es schon richten". Stattdessen empfiehlt die Theologin, mit gewissen Traditionen und Vorstellungen zu brechen - auch wenn das schwierig sei. Oxen verzichte bereits seit Jahren bei ihren Predigten auf die Einleitungsformel "Liebe Gemeinde ". Das irritiere viele Gottesdienstbesucher. "Ich wurde schon gefragt, ob ich etwa nicht gewusst hätte, dass ich eine Predigt halten soll", sagt Oxen, die bereits mehrere Predigtpreise gewonnen hat. kna

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