Unternehmer Scheer: „Es fehlt der große Wurf nach vorne“

Die von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) vermittelte Aufbruchstimmung ist nach Ansicht des IT-Unternehmers August-Wilhelm Scheer ohne große Wirkung verpufft. Auch Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) habe keine Vorstellungen, wohin sich das Land entwickeln soll. Mit Scheer, von 1999 bis 2009 Beauftragter für Innovation, Technologie und Forschung in der Regierung von Peter Müller, sprach SZ-Redakteur Thomas Sponticcia.

 Keine Vorstellungen über die künftige strategische Ausrichtung der Branche? Die saarländische Stahlindustrie. Foto: Rolf Ruppenthal

Keine Vorstellungen über die künftige strategische Ausrichtung der Branche? Die saarländische Stahlindustrie. Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal
Nicht vorbereitet auf Herausforderungen durch neue Techniken und die Märkte? Die Autoindustrie an der Saar. Foto: Rolf Ruppenthal

Nicht vorbereitet auf Herausforderungen durch neue Techniken und die Märkte? Die Autoindustrie an der Saar. Foto: Rolf Ruppenthal

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Nur mittelmäßig im Vergleich zu anderen Standorten? Die Universität des Saarlandes. Foto: Becker & Bredel

Nur mittelmäßig im Vergleich zu anderen Standorten? Die Universität des Saarlandes. Foto: Becker & Bredel

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Eine Lachnummer? Die Image-Kampagne des Saarlandes mit dem Motto „Großes entsteht immer im Kleinen“. Foto: Dietze

Eine Lachnummer? Die Image-Kampagne des Saarlandes mit dem Motto „Großes entsteht immer im Kleinen“. Foto: Dietze

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Das Saarland verpasst aus Ihrer Sicht viele Chancen. Wo denn?

Scheer: Nehmen Sie die Universität. Mit Mittelmäßigkeit können wir weder national noch international konkurrieren. Nur, wenn wir auch saarländischen Abiturienten Erstklassigkeit und höchste Qualität bieten, werden die wichtigsten Köpfe, die das Saarland braucht, hier studieren und hier bleiben. Der Umbau zur Elite-Uni wurde im Rahmen der Spardebatte verpasst. Es gibt keine gesicherte Zukunftsstrategie für die Uni. Sie ist eher Ergebnis saarländischer Lobbystruktur.

Sind wir mittelmäßig?

Scheer: Ein Vergleich der Rankings zeigt, dass wir meist im Mittelfeld oder am Schluss liegen, natürlich Informatik und Materialwissenschaften ausgeschlossen. Zudem halte ich eine Zusammenarbeit der Uni mit der Wirtschaft für wichtig. Ich frage mich aber, wo das in ausreichendem Maße der Fall ist.

Was meinen Sie?

Scheer: Das Saarland ist stark industrieorientiert, steht aber an letzter Stelle bei der Ausbildung von Ingenieuren. Hier stimmen Bedarf und Angebot in keiner Weise strategisch überein. Umgekehrt haben wir eine sehr hohe Qualität in der Informatik-Ausbildung, aber es fehlt die passende hiesige Informatik-Industrie. Ich sehe keine Strategie, an der Saar eine wirksame IT-Industrie im Umfeld der Forschungs- und Ausbildungs-Kompetenz anzusiedeln. Auch die Zahl der Start-Up-Unternehmen ist im Saarland zu gering.

Also wird an der Uni am Bedarf vorbei ausgebildet?

Scheer: Es fehlt das Denken in der gesamten Wertschöpfungskette. Die Absolventen müssen auch Arbeitsplätze im Saarland finden. Es nutzt nichts, wenn sie in andere Bundesländer oder ins Ausland abwandern und dort ihre Steuern zahlen. Die Industrie muss mit hoch qualifizierten Mitarbeitern und Forschungsergebnissen ausgestattet werden. Auch das ist nicht genügend der Fall.

Hier ist also auch die Wirtschaftsministerin gefragt.

Scheer: Ich sehe nur generelle Aussagen wie: Wir brauchen Fachkräfte. In welchen Bereichen, bleibt schon offen. Ich sehe keine Vorstellungen, wie das Saarland in fünf Jahren aussehen soll, in welche Richtung und wie sich etwa die Automobil- und Stahlindustrie entwickeln sollen. Es gibt anderswo Stahlunternehmen, die sich zum High-Tech-Konzern entwickelt haben und deutlich mehr auf Weiterverarbeitung setzen als auf die Stahlproduktion selbst. Diese Entwicklungen haben wir im Saarland nicht im gleichen Umfang wie in anderen Regionen. Wenn man Industriepolitik machen will, dann muss man auch Cluster definieren, die zukunftsfähig ausgebaut werden. Hier braucht man klare Ziele, ähnlich wie wir sie schon vor zehn Jahren hatten. Wir brauchen hohe Kompetenz in der Forschung, die die praktische Umsetzung zum erklärten Ziel hat. Dabei muss sich das Saarland auch den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und offen für neue Business-Modelle sein. So wird etwa die Automobilindustrie durch Digitalisierung und Elektroantrieb herausgefordert. Mein neues elektronisches Auto hat zum Beispiel kein Getriebe mehr.

Die Landesregierung argumentiert, ein Gesamtkonzept für das Land sei eine ständige Aufgabe, nichts, was man aufschreibt und definiert. Brauchen wir ein solches Konzept, eine Vision, um zu überleben?

Scheer: Bayern bringt mit zwei Milliarden Euro eine Digitalisierungsoffensive auf den Weg mit 20 Lehrstühlen, weil man nicht warten will, bis ein Generationswechsel bei den Lebenszeit-Professoren entsteht. Es wird schnell in zukunftsorientierte Themen investiert mit klaren Schwerpunkten: Autoindustrie inklusive künftiger Mobilität, Industrie 4.0, Gesundheit. Man will Leuchtturmprojekte schaffen und aufzeigen, wohin Trends gehen. Inklusive einer Verbindung zwischen Industrie und Forschung.

Was folgt daraus?

Scheer: Auch das Saarland kann eine Digitalisierungsoffensive starten. Vielleicht nicht mit viel Geld, aber mit vielen intelligenten Köpfen. Wir könnten etwa versuchen, die Weiterentwicklung selbstfahrender Autos federführend voranzutreiben. Wuppertal als notleidende Stadt macht uns das gerade vor.

Das Land wird sofort argumentieren: Wir haben kein Geld.

Scheer: Dieses Argument hindert nicht am Denken. Wenn man kein Geld hat, muss man die Kräfte im Land bündeln. Die Unternehmen sind bereit, zukunftsorientiert zu arbeiten. Die Saar-Politiker müssen sich aber die Mühe machen, regelmäßig die Unternehmenszentralen aufzusuchen, um Kooperationsprojekte zu starten.

Was muss getan werden?

Scheer: Wir müssen die kleinen Unternehmen einer Branche viel stärker vernetzen, um Marktchancen zu verbessern. Stattdessen stellt das Land gerade den Saar-Gemeinschaftsstand auf der Computermesse Cebit in Frage, weil es zu wenig Unternehmen gibt, die sich beteiligen könnten. Da stimmt die Zusammenarbeit zwischen Spitzenforschung und Unternehmen nicht, und es gibt zu wenig Neugründungen.

Ist die Saar-Politik in der Lage, das Land voranzubringen?

Scheer: Die Ministerpräsidentin hat 2013 beim Neujahrsempfang in St. Ingbert eine Ruck-Rede gehalten und gesagt: Wir schaffen alles, wenn wir nur wollen. Das hat mir als Aufbruchsignal gefallen. Nur, was ist aus dem Wollen konkret geworden? Es fehlt der große Wurf nach vorne, auf jeden Fall eine Digitalisierungsstrategie. Ich halte auch die Marketingkampagne "Großes entsteht immer im Kleinen" eher für eine Lachnummer. Wo ist das Große, was im Saarland entsteht? Ich muss erst Fakten haben, bevor ich Marketing betreibe.

Sehen Sie einen Macher in der saarländischen Politik?

Scheer: Ich weiß nicht, ob die Ausrichtung auf die Sozialpolitik dem Land etwas bringt. Die beste Sozialpolitik ist es, erfolgreiche Unternehmen zu haben und sprudelnde Steuerquellen. Man muss die Wirtschaft unterstützen, die wichtigsten Leute an einen Tisch holen, Ideen entwickeln, vernetzen. Wenn kurze Wege aber nur noch dazu führen, dass man sich bei Entscheidungen gegenseitig nicht weh tut, dann ist das ein Nachteil.

Sie mahnen Visionen an. Finden Sie zunehmend Mitstreiter?

Scheer: Als Unternehmer , der für 800 Mitarbeiter Verantwortung trägt und sich mit seinem Firmenverbund dem globalen Wettbewerb stellt, muss ich frei sein in meinem Denken, den Weg gehen, den ich für richtig halte. Ich glaube aber, dass ich im Saarland mit meinen Überzeugungen nicht alleine stehe.

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