Gewalt und Verbote machen Sieg über Aids unmöglich

Melbourne/Frankfurt · Eines wurde deutlicher denn je bei der Welt-Aids-Konferenz in Melbourne , die gestern zu Ende gegangen ist: Der Kampf gegen die Immunschwächekrankheit kann nur gewonnen werden, wenn die Schwächsten in der Gesellschaft gestärkt werden.

"Diskriminierung ist der Nährboden für HIV", sagte der Direktor des Globalen Aidsfonds, Mark Dybul. Die Kriminalisierung von Homosexuellen, Prostituierten und Drogensüchtigen unterwandere die Fortschritte bei der Aidsbekämpfung. Diese Gruppen, die einem hohen Risiko ausgesetzt sind, können wegen restriktiver Gesetze nicht für Prävention und Behandlung erreicht werden.

Auch für die Medizin-Nobelpreisträgerin Françoise Barré-Sinoussi ist Diskriminierung weiterhin das Haupthindernis für eine flächendeckende Gesundheitsversorgung. Wenn Prostituierte entkriminalisiert würden, könnten bis zu 46 Prozent der Aids-Infektionen bei ihnen und ihren Kunden vermieden werden, ergaben Forschungen.

Weltweit liegt die HIV-Rate bei Sexarbeitern beiderlei Geschlechts bei bis zu 14 Prozent, bei Transsexuellen sogar bei 27 Prozent. In der Gesamtbevölkerung liegt die Verbreitung bei 0,8 Prozent. Nach Angaben des weltweiten Netzwerks von Prostituierten-Projekten gilt in vielen Ländern der Besitz von Kondomen bereits als Beweis für Prostitution - mit juristischen und sozialen Folgen. Entsprechend gefährlich ist es, sich auf das Virus testen oder sich Medikamente verschreiben zu lassen.

Ähnlich verhält es sich bei Schwulen und Lesben . "Es ist eine statistische Tatsache, dass die Länder, die Homosexuelle kriminalisieren, höhere HIV-Infektionsraten haben", erklärt Charles Radcliffe vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte. 78 Länder verfolgen gleichgeschlechtliche Beziehungen strafrechtlich, in sieben davon gilt die Todesstrafe. Aids-Organisationen in Uganda, Nigeria oder Russland schlagen Alarm, weil sie seit der Verschärfung von Verboten kaum mehr in Kontakt treten können mit Homosexuellen. Erfolge bei der Bekämpfung von Aids werden so zunichtegemacht.

Laut dem jüngsten UN-Aids-Bericht ist die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion bei Männern, die Sex mit Männern haben, 19 Mal höher als beim Rest der Bevölkerung. Und obwohl die HIV-Raten in den meisten Erdteilen zurückgehen, steigt sie bei Schwulen in einigen Regionen wie Asien weiter an. "Die Infektionsraten sind höher, weil Homosexuelle in vielen Ländern Verfolgung fürchten müssen, wenn sie als solche erkannt werden", erläutert Patrick Eba, Menschenrechtsbeauftragter des Aids-Programms der Vereinten Nationen. Gesellschaftlich ist die Verfolgung auch deshalb verheerend, weil Schwule , um nicht erkannt zu werden, Beziehungen mit Frauen eingehen, heiraten, Kinder zeugen. Auch die Gewalt gegen Homosexuelle befördert die Verbreitung des Virus. Wenn Schwule und Lesben wegen ihrer sexuellen Orientierung vergewaltigt werden, werden sie oft von den Angreifern angesteckt.

In Melbourne war es jetzt erstmals auf einer Welt-Aids-Konferenz Konsens, dass man die bislang oft geächteten Risikogruppen mehr in den Fokus nehmen muss. Die deutsche Aids-Hilfe brachte es auf den Punkt: HIV ist eine Krankheit, die stark von sozialen Faktoren abhängt - deshalb kann sie nicht allein mit Medikamenten bekämpft werden.

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