Der schöne Schein der „Renteneinheit“

Berlin · Die unterschiedlichen Renten in Ost und West sind ein politischer Dauerbrenner. Nun hat die Kanzlerin das Thema aufgegriffen und die "Renteneinheit" bis 2020 proklamiert. Neu ist das Ziel nicht, es steht im Koalitionsvertrag.

Dass Angela Merkel trotzdem daran erinnerte, hat mit den Landtagswahlen in Sachsen , Thüringen und Brandenburg zu tun. Denn viele Ostdeutsche fühlen sich benachteiligt.

Auch frühere Regierungen hatten schon Besserung gelobt, aber dann doch die Finger davon gelassen. Denn die Materie ist ebenso kompliziert wie heikel. Im 24. Jahr nach der Einheit ist der so genannte Rentenwert, der sich aus den Beiträgen eines Durchschnittsverdieners pro Jahr ergibt, im Westen mit aktuell 28,61 Euro noch immer deutlich höher als im Osten (26,36 Euro ). Ursache sind die nach wie vor niedrigeren Löhne in den neuen Ländern. Zwar hat der Osten aufgeholt, 1992 lag der Rentenwert nur bei 56,9 Prozent des Westniveaus, heute sind es 92,2 Prozent. Bis zu einer vollständigen Angleichung dürfte es aber noch dauern.

Der Abstand bedeutet freilich nicht, dass die Renten im Osten immer automatisch kleiner sind. Im Gegenteil. Um den Nachteil des hohen Lohngefälles auszugleichen, wurde bereits mit dem Vertrag zur deutschen Einheit eine Aufwertung der Ostlöhne bei der Rentenberechnung festgeschrieben. Ansonsten wären wohl sämtliche DDR-Rentner sofort zum Sozialfall geworden. Dieser Umrechnungsfaktor in der Rentenformel wirkt weiter fort. Und zwar noch so lange, wie die Durchschnittseinkommen Ost unter denen des Westens liegen. Der Umrechnungsfaktor soll also gewissermaßen den geringeren Rentenwert Ost ausgleichen. Gegenwärtig werden die Ost-Löhne dazu um 18,73 Prozent aufgewertet. Das heißt, wer zum Beispiel 3000 Euro verdient, wird so behandelt, als wären es 3561,90 Euro . Auf diese Weise erhält der Ostrentner am Ende mehr Rente für weniger Beitrag. Entsprechend ist im Osten auch die so genannte Beitragsbemessungsgrenze niedriger, also jene Schwelle, bis zu der Rentenbeiträge auf den Lohn fällig werden. Im Osten liegt sie bei 60 000 Euro brutto im Jahr, im Westen bei 71 400 Euro .

Sind die Ostrentner damit nun benachteiligt - oder gar im Vorteil? Das kommt auf den Einzelfall an. Angenommen, ein Gutverdiener in Düsseldorf erzielt ein Jahresbrutto von 71 400 Euro . Laut Rentenversicherung erwirbt er sich damit einen Rentenanspruch von 58,60 Euro . Sein Kollege in Leipzig mit dem gleichen Verdienst kommt dagegen nur auf 53,93 Euro . Bei deutlich geringeren Jahresbezügen kehrt sich dieses Verhältnis aber um. Für einen Bruttoverdienst von 40 000 Euro erwirbt man im Westen derzeit einen Rentenanspruch von 32,83 Euro . Im Osten sind es 35,96 Euro . Durch die Aufwertung der Löhne im Osten wird der geringere Rentenwert also zum großen Teil mehr als wettgemacht.

Wenn Kritiker wie die Linke trotzdem eine schreiende Benachteiligung der Ostrentner beklagen, blenden sie diesen Effekt des unterschiedlichen Rentenrechts glatt aus. Würde man es tatsächlich vereinheitlichen, also nur noch den Rentenwert West anwenden und dafür die Höherbewertung der Ost-Löhne streichen, wären viele im Osten bei der Rente schlechter gestellt. Bliebe dagegen die Höherbewertung der Ost-Löhne unter Anwendung eines einheitlichen Rentenwertes West erhalten, wie es die Linke fordert, hätte das nicht nur milliardenschwere Mehrausgaben zur Folge, sondern auch eine Vertiefung der Benachteiligung vieler Westrentner. Die "Renteneinheit" ist also viel leichter proklamiert als umgesetzt.

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