„Ich würde nicht alles als Kunst bezeichnen“

Saarbrücken · Große Kunst? Oder nur Gesprühe? Die Meinungen über Street Art gehen immer noch auseinander. Regisseur Stefan Pohl hat eine sehenswerte Dokumentation gedreht, die er am Montag in Saarbrücken vorstellt: „Hello my Name is – German Graffiti“.

 Ein comic-artiges Motiv bei der Veranstaltung „International Meeting of Styles“ in Mainz-Kastel.

Ein comic-artiges Motiv bei der Veranstaltung „International Meeting of Styles“ in Mainz-Kastel.

 Hier hat sich der Berliner Sprayer „Life“ abgeseilt und seine Spuren hinterlassen. Fotos: Stefan Pohl

Hier hat sich der Berliner Sprayer „Life“ abgeseilt und seine Spuren hinterlassen. Fotos: Stefan Pohl

 Stefan Pohl kommt am Montag ins Filmhaus. Foto: Helen Becker

Stefan Pohl kommt am Montag ins Filmhaus. Foto: Helen Becker

Foto: Helen Becker

Wie auch immer man es nennt - Graffiti , Street Art, Urban Art - für Stefan Pohl ist es eine persönliche Angelegenheit: Nach dem Hauptschulabschluss, zwei abgebrochenen Ausbildungen und einiger Ratlosigkeit fand er über die Kunst des Sprühens seinen Weg. Heute ist der 36-Jährige diplomierter Designer, arbeitet als Grafiker, freiberuflicher Filmemacher, sprüht nicht mehr, hat aber eine sehenswerte Dokumentation über seine frühe Liebe gedreht: "Hello my Name is - German Graffiti ". 15 kurze Porträts zeigen Sprayer, ob nun den Berliner "Life", der sich von Häuserwänden abseilt, um an ihnen seine Schriftspuren zu hinterlassen, Veteranen wie "Cantwo" oder "Loomit" und auch Künstler anderer Medien: Der Fotograf "Ruedione" etwa fängt nächtliche Ausflüge der Sprayer zu Bahndepots oder Brücken in harschem, schwarzweißem Reportagestil ein.

Um die Vielfalt der Szene geht es Pohl in seinem Film, der sich nicht hermetisch an Kenner richtet, sondern ein breites Publikum im Sinn hat. Bei dem will er einige Klischees brechen und Fragen beantworten. Die klassischste: Ist das nun eher buntes Gesprühe oder eben Kunst? Pohl: "Das Spektrum ist sehr breit, ich würde da nicht alles als Kunst bezeichnen. Nicht jeder, der ein Instrument ausprobiert, ist auch ein Musiker." Aber diese Debatte interessiere gerade die Sprayer am wenigsten: "Die fangen nicht damit an, weil sie große Künstler sein wollen. Es geht einfach darum, etwas zu tun, sich auszudrücken." Ihr Vorteil: Es gibt keine Zulassungsbeschränkung, man muss "nicht von der Akademie" kommen. "Und ob man weiterkommt, entscheidet nur die Leistung."

Weitergekommen sind einige, Urban Art ist mittlerweile hochpreisig in Galerien zu finden und in Ausstellungen wie gerade im Völklinger Weltkulturerbe. Pohl sieht das nicht als kommerzielle Zähmung einer ungebändigten Szene, sondern als gerechten Lohn für "viel investierte Energie" und als Zeichen einer langsamen Akzeptanz seitens der Hochkultur. Insgesamt glaubt der Regisseur, dass Graffiti "irgendwann die größte globale Kunstbewegung der Menschheitsgeschichte sein wird", nicht zuletzt der globalen Verbindung im Internet wegen, wo Bilder schon um die Welt gehen, bevor ihre Farbe ganz trocken ist. Wobei Pohl das Internet als Segen und Fluch sieht. "Heute geschieht beim Graffiti das, was vor 10, 15 Jahren durch Myspace in der Musik passierte: Jeder kann etwas erschaffen und es im Internet pushen, aber es fehlt eine gewisse Qualitätskontrolle" - wie früher Graffiti-Magazine, in denen man nur bei entsprechender Qualität gedruckt wurde.

Ein Stolperstein in der breiten Akzeptanz ist die Illegalität mancher Werke - da sie auf unschuldigen Hauswänden oder nicht freigegebenem öffentlichen Raum stattfinden. "Ich finde, das wird zu stark kriminalisiert", sagt der Darmstädter. Graffiti weise vielen jungen Menschen den Weg zur Kunst, was der Staat unterstützen sollte - etwa durch das Freigeben von Flächen und Bezahlen der Neu-Tünchung einer besprühten Wand. Dass sich der ein oder andere Sprayer im Film ein wenig als Stadt-Guerilla sieht, immer auf der Flucht vor "den Bullen", nimmt der Regisseur sehr ernst. Deshalb sind einige der Protagonisten nur schemenhaft zu erkennen und ihre echte Stimme nicht zu hören. Er ist aber auch froh, dass die Polizei , wie er es sieht, weder sehr engagiert noch sehr erfolgreich ist bei der Verfolgung von Sprühern. Ein "Aufschrei gegen das böse System" sei das aber nicht, eher ein bisschen Pose und Grenzerfahrung in einer Zeit, "die immer spießiger und reglementierter wird, und auch ein Spiel mit dem öffentlichen Raum und den Menschen, die sich darin bewegen".

60 flotte Minuten dauert der Film, in der 42. Minute sieht man die erste (und letzte) Graffiti-Künstlerin. Das sei durchaus repräsentativ, sagt Pohl, höchstens fünf Prozent Frauen fänden sich unter den Sprühern, auch wenn die Quote steige. Ein Macho-Milieu sei das nicht, sagt Pohl, "aber nachts mit Farbeimern durch Büsche oder Bahnanlagen zu schleichen, ist vielleicht nicht der klassisch feminine Bereich".

Auf langer Kinotour mit Diskussionen begleitet Pohl seine Doku, die er (bis auf 7000 Euro Filmförderung) selbst finanzierte und nahezu im Alleingang filmte, schnitt und jetzt verleiht. Bei den Gesprächen will er werben für diese Kunst, die mit einem Fuß in den Galerien steht, mit dem anderen noch vor Gericht, Schmuddel-Image inklusive. Viele Städte stellten freie Wände zur Verfügung, andere täten sich noch schwer, "da ist die Kunst noch nicht ganz angekommen. Aber diese junge Kultur braucht ihren Platz - und zwar nicht am Stadtrand."

Termin: Montag, 20 Uhr, Saarbrücker Filmhaus. Nach dem Film diskutieren Stefan Pohl, das Künstlerduo Pitch & Brimstone, Monika Kunz und Heidrun Stern vom Stadtplanungsamt Saarbrücken , Gabriele Langendorf (HBK), Gerd Leidinger (IG Mainzer Straße) und Colin Kaesekamp (Büro Stabil).

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