Flüchtigkeit, in Holz gehauen

Neunkirchen · Detlef Waschkau holt die jahrtausendealte Reliefkunst ins Hier und Jetzt. In der Städtischen Galerie Neunkirchen lässt sich diese ungewöhnliche Position der Gegenwartskunst entdecken.

 Eines von Detlef Waschkaus Holzreliefs zu Willy Brandt. Sein Hauptsujet sind Großstadt-Szenen. Foto: Waschkau/Galerie

Eines von Detlef Waschkaus Holzreliefs zu Willy Brandt. Sein Hauptsujet sind Großstadt-Szenen. Foto: Waschkau/Galerie

Foto: Waschkau/Galerie

Holz ist ein sprödes Material? Rustikal, gar folkloristisch? Die aktuelle Ausstellung in der Städtischen Galerie Neunkirchen belehrt uns eines Neuen. Holz schimmert transparent. Es vibriert und transportiert die Hektik und die Unübersichtlichkeit großstädtischen Lebens. Außerdem ermöglicht dieses Material eine überraschende Verzahnung von Malerei, Bildhauerei und Fotografie. Das lernt man in Neunkirchen und staunt über die "Evolution des Reliefs" - nein, der Titel ist keine Anmaßung.

Die berühmtesten Beispiele der Kunstgattung kennen wir als gigantische Stein-Friese der Antike. Nun holt der in Berlin lebende Künstler Detlef Waschkau (Jahrgang 1961) diese von zeitgenössischen Künstlern kaum mehr praktizierte Kunstform ins 21. Jahrhundert.

Von Weitem wirken Waschkaus Holzreliefs wie Collagen, als habe der Künstler Holzplatten, farbige Flecken, zarte Zeichnungen und plastische Elemente übereinandergeklebt. Immerzu präsent bleibt ein strenges geometrisches Raster. Erhabene und flache, glänzende und matte Partien, Grobes und Feinziseliertes, Abstraktes und Figürliches verschränken sich zu einem Mosaik mit überraschenden räumlichen Effekten. Denn Waschkau erzeugt Sprünge, Staffelungen, Überblendungen. Er arbeitet mit rechteckigen Grundfiguren, holt sie - ganz traditionell, mit Hammer und Beitel - aus einer einen Zentimeter dicken Pappelholz-Platte heraus.

Zu Grunde liegen fotografische Motive, die Waschkau in japanischen oder chinesischen Giga-Städten findet: eine jugendliche Rockband vor einer Industriekulisse, U-Bahn-Szenen, eine Autowerkstatt auf der Straße. Architektur spielt eine entscheidende Rolle. Für sein "Willy-Brandt-Projekt" (2012/2013) griff er hingegen auf zeitgeschichtliches Bildmaterial zurück.

Doch hier wie dort interessiert Waschkau weder die psychologische Feinzeichnung noch eine detailgetreue Realitätswiedergabe. Vielmehr "kopiert" er unsere flüchtige Wahrnehmung im städtischen Alltag. Nur (Körper-)Haltungen werden erkennbar: Langeweile, Ungeduld. Im Großformat und bei den Großstadtmotiven wirkt dieser Zugriff ohne Zweifel am eindruckvollsten. Einsam und fern bleibt aber nicht nur die von Waschkau gesichtslos gezeigte Menge in Berlin oder Peking, sondern auch der Mensch hinter der Staatsmann-Ikone Brandt. Inhalt und Qualität von Waschkaus Reliefkunst erschließen sich ohne Deutungsmühsal - ein seltener Vorzug zeitgenössischen Kunstschaffens.

Die Ausstellung läuft bis

11. Januar in der Städtischen Galerie Neunkirchen , Marienstraße 2. Di, Mi, Fr 10 bis 12.30 Uhr/ 14 bis 17 Uhr; Do bis 18 Uhr; Sa 14 bis 17 Uhr; So 14 bis 18 Uhr. Eintritt frei.

Die Städtische Galerie Neunkirchen steht vor großen Veränderungen. Wenn die Zeitpläne greifen, zieht sie Ende 2015 in das derzeit leer stehende Bürgerhaus nebenan. Dort wird die "neue" Galerie eine Fläche von 380 Quadratmetern haben. Das bedeutet eine Fast-Verdoppelung der jetzigen Bespielungs-Fläche. Das Bürgerhaus wird zum "Zentrum für Bildung und Kultur" umgebaut. Die Städtische Galerie, die derzeit im Gebäude des früheren Amtsgerichts untergebracht ist, soll zukünftig die Fläche des ehemaligen Bürgerhaus-Veranstaltungssaals samt Empore erhalten. Im Untergeschoss wird ein neues Stadtmuseum für Industrie- und Sozialgeschichte eingerichtet. Ein Zwischentrakt soll Bürgerhaus und Altbau verbinden. Dort zieht die Stadtbücherei ein. Das bisherige Foyer des Bürgerhauses fungiert als gemeinsam genutzte Verbindungs-Stelle für Bücherei, Museum und Galerie. Die Gesamtkosten des Umbaus sind auf 1,3 Millionen Euro berechnet.

Wegen der Baumaßnahme muss die Städtische Galerie zwischen März und Dezember 2015 schließen. Die aktuelle Detlef-Waschkau-Schau ist die vorletzte Ausstellung in den jetzigen Räumlichkeiten. Am 11. Januar folgt eine Retrospektive der Bexbacher Künstlerin Ruth Engelmann-Nünninghoff. Diese letzte Ausstellung endet am 11. März. Im Dezember 2015 soll dann Wiedereröffnung in den neuen Räumen sein.

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