Auf der Suche nach dem „anderen Weg“

Die Finanzkrise der letzten Jahre hat uns aufgeschreckt und den Blick geschärft für historische Erfahrungen. Auch Harold James blickt zurück – und warnt zugleich vor naiven Schlussfolgerungen aus der Geschichte.

Der Untertitel des Buchs von Harold James macht neugierig: "Lehren aus den Wirtschaftskrisen". Wirtschaftliche Entscheidungen von Staaten wie von Unternehmen werden von der Einschätzung und den Erwartungen der Zukunft bestimmt. Da diese niemand voraussagen kann, blicken Entscheider aus Politik und Wirtschaft zurück in die Vergangenheit, um Parallelen zu finden. James hält aber auch den Wermut für den Wein der Erkenntnis aus der Vergangenheit bereit: "Eine allzu naive Anwendung historischer Lehren kann zu falschen Maßstäben verleiten und bietet daher keine Patentlösungen. Die beste Art, über Geschichte nachzudenken, ist es, sie als Möglichkeit zur Prüfung von Hypothesen zu betrachten."

In seinen prägnant zusammengefassten Beiträgen analysiert er Wendepunkte der Wirtschaftsgeschichte . Er versucht, soweit es überhaupt möglich ist, aus ihnen allgemein gültige Erkenntnisse von denen, die die Besonderheiten des historischen Einzelfalls ausmachen, zu trennen. Er geht dann in knappen Worten auf die "Rezeptionsgeschichte" der jeweiligen Ereignisse ein, dividiert die Mythen von den nüchternen Analysen und kommt immer wieder auf den kritischen Dialog zwischen Wirtschafts- und Geistesgeschichte zu sprechen. Er macht deren Spagat aus zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte. In "Die Wiedergeburt der (protestantischen) Ethik" untersucht er die jüngste "Finanzkrise und die disziplinäre Herausforderung des Naturrechts" und kommt zum Schluss: "Aus Sicht der Moralphilosophen benimmt sich der Markt nicht so, wie er sollte - während die Wirtschaftswissenschaftler feststellen, dass sich der Markt nicht so verhält, wie sie es zuvor berechnet haben."

Zum Thema "Schulden und Geschichte" geht er auf die Gründungsgeschichte der USA zurück und stellt fest, dass die Voraussetzung für den Erfolg der Union die Erschließung eigener Einnahmequellen der Föderation neben denen der Einzelstaaten war. Diese Logik gelte auch im modernen Europa, "wo eine gemeinsame Verwaltung der Mehrwertsteuer Teil eines reformierten Steuersystems bilden könnte."

Zwei kurzweilige biographische Skizzen über Margret Thatcher und den von den Nazis aus dem Vorstand der Deutschen Bank gedrängten Georg Solmssen belegen, dass nicht nur Staaten und Unternehmen die Geschichte der Wirtschaft schreiben, sondern auch Personen. In einem abschließenden Gespräch über "den Auftrag der Wirtschaftsgeschichte " legt James noch einmal seine grundlegende These dar: "Es gibt keine Patentlösungen". Das sind angesichts des Untertitels des ganzen Buches "Lehren aus den Wirtschaftskrisen" nicht etwa Steine für Brot. Die These warnt vor einer ungenauen Lesart der Geschichte, vor ideologischen oder von Wünschen getragenen Vereinfachungen und ist eine Einladung zur Suche nach dem "anderen Weg".

Harold James: Finanzmarkt macht Geschichte. Lehren aus den Wirtschaftskrisen, Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Vorträge und Kolloquien Bd. 13. Wallstein, 142 S., 15 €.

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