Leben im Land der Täter

Die Synagogengemeinde Saar und das Kino Achteinhalb laden ab Sonntag wieder zu den Jüdischen Filmtagen ein – fünf Produktionen und Diskussionen mit Filmemachern sollen Einblicke in jüdische Lebenswelten geben. Einer der Filme ist die sehenswerte Dokumentation „Ein Apartment in Berlin“. Die Regisseurin Alice Agneskirchner begleitet drei junge Israelis, die nach Berlin gekommen sind, dem Ort, an dem die Vernichtung der Juden geplant wurde. Der Film spürt den Beweggründen der Drei nach und fragt nach ihrer Beziehung zum Holocaust. Gleichzeitig wollte die Regisseurin mit dem Trio das Leben einer realen Familie im Berlin der 30er Jahre nachempfinden. Doch diese Idee musste während der Dreharbeiten aufgegeben werden. Über die Gründe sprach Alice Agneskirchner mit SZ-Redakteur Tobias Kessler.

 „Arische Eier zu verschenken“ – eine Aktion des Berliner Israeli Yoav (rechts), die sich auf die Geschichte bezieht: In den 30er Jahren hat das NS-Regime die Eier-Industrie, einen zuvor traditionell jüdischen Geschäftszweig, „arisiert“. Fotos: Gebrueder Beetz Filmproduktion

„Arische Eier zu verschenken“ – eine Aktion des Berliner Israeli Yoav (rechts), die sich auf die Geschichte bezieht: In den 30er Jahren hat das NS-Regime die Eier-Industrie, einen zuvor traditionell jüdischen Geschäftszweig, „arisiert“. Fotos: Gebrueder Beetz Filmproduktion

"Dein Holocaust ist nicht unser Holocaust " sagen in Ihrem Film die drei jungen Israelis und bewegen Sie zur Neukonzeption während der Dreharbeiten. Was war geschehen?

Agneskirchner: Es war keine Rebellion gegen den Film, sondern gegen die Definition davon, wie wir uns der jüdisch-deutschen Vergangenheit nähern. Ich hatte die Geschichte der Berliner Familie Adler recherchiert und wollte sie mit den Dreien auf gewisse Weise nachempfinden - indem wir die Wohnung Stück für Stück wieder mit Möbeln einrichten und somit etwas über das Schicksal der Familie erfahren. Diese Idee fanden sie für sich unpassend, aus unterschiedlichen Gründen. Deshalb erzähle ich die Geschichte der Adlers jetzt im Film parallel zu der der drei Protagonisten.

Warum fanden die Drei Ihre Idee für sich unpassend?

Agneskirchner: Für Yael, die aus einem sehr orthodoxen Milieu kommt, vor dem sie eigentlich geflüchtet ist, spielt die Auseinandersetzung mit dem Holocaust nur eine kleine Rolle - sie wollte erst einmal in einem normalen säkularen Leben ankommen. Eyal möchte selber bestimmen, wann und in welchem Maß er den Holocaust an sich heran lässt. Yoav hat eine große Affinität zum Thema und ein großes Interesse am Deutschen, am Germanischen. Er lehnt ab, Teil eines Volkes zu sein, das Opfer geworden ist. Meine Idee, das Leben einer jüdischen Familie nachzuempfinden, fand er für sich als überflüssig. Er meinte, er habe so etwas schon zigmal gelesen und er kenne die Familie gar nicht - ihn interessiert eher die Täterrolle. Ihn hätte es interessiert die Wohnung von Hermann Göring oder Heinrich Himmler einzurichten, das hätte meinen Film aber gesprengt.

Im Film zieht er sich eine Nazi-Uniform an und geht durch eine Straße. War das von Ihnen geplant?

Agneskirchner: Überhaupt nicht - in der restaurierten Wohnung hat Yoav die Uniform aus einem Kostümfundus angezogen - er wollte wissen, was das mit ihm macht. Dass er so auf die Straße geht, war sein Wunsch, und wir sind ihm dann mit der Kamera gefolgt. Ich war verblüfft, wie unbehelligt wir durch die Straßen gehen konnten - allerdings waren wir auch als Filmteam erkennbar. Für Yoav war das ein Experiment. Dass er die Uniform angezogen hat, war für viele Israelis ein Schock, ein Tabubruch. Als der Film im israelischen Fernsehen lief, hat ihn eine große Zeitung äußerst scharf kritisiert.

Yoav sagt in einer Diskussion um den Israel-Konflikt: "Jeder Palästinenser kann doch gehen, wenn er möchte." Eine Rhetorik, die auch Rechtsextreme Ausländern gegenüber benutzen. Haben Sie gezögert, diesen Satz im Film zu lassen?

Agneskirchner: Nein, es ist seine Meinung, und Yoav ist ein erwachsener Mann. Wenn man sich gemeinsam auf ein Filmprojekt einlässt, ist es nicht meine Aufgabe, jemandem das Wort aus dem Mund zu nehmen.

Sie haben den Film bei internationalen Festivals gezeigt - wie waren die Reaktionen?

Agneskirchner: In Amerika war das Interesse sehr groß. Der Film lief beim Jüdischen Filmfestival in Maine, wo es eine große jüdische Gemeinde gibt. Die tradierte Meinung dort ist: Als Jude geht man nicht in das Land der Täter. Dass mein Film nun junge Israelis zeigt, die nach Deutschland gehen und dort nicht abgelehnt werden, war wie ein Aha-Erlebnis: Wenn die das können, sagten einige, können wir das auch.

Wie war es in Deutschland? Der Film lief ja bereits bei 3sat.

Agneskirchner: Da wurde diskutiert, ob man einen Film in einem so großem Bogen - vor 100 Jahren kam die Familie Adler nach Berlin und heute kommen die jungen Israelis nach Berlin - überhaupt aufbauen kann. Aber ich als Deutsche der zweiten Generation nach dem Holocaust habe immer wieder gemerkt, wie sehr ich mit meinen Schuldempfindungen zu tun habe und wie wenig die Israelis der dritten Generation das interessiert. Sie wünschen sich Normalität mit uns.

"Ein Apartment in Berlin " läuft am Mittwoch, 29. Oktober, um 20 Uhr im Kino Achteinhalb . Alice Agneskirchner ist bei der Diskussion dabei.

 Alice Agneskirchner

Alice Agneskirchner

 Die Israelis Eyal, Yoav und Yael (v.l.) auf einem Antikmarkt. Sie suchen nach Requisiten, mit denen sie die Wohnung der deportierten Familie Adler möglichst originalgetreu einrichten können.

Die Israelis Eyal, Yoav und Yael (v.l.) auf einem Antikmarkt. Sie suchen nach Requisiten, mit denen sie die Wohnung der deportierten Familie Adler möglichst originalgetreu einrichten können.

Zum Thema:

Auf einen BlickDie Jüdischen Filmtage werden am Sonntag mit der Geheimdienst-Komödie "Kidon" eröffnet, der Regisseur Emmanuel Naccache wird dabei sein. Am Montag stellt der Produzent Marek Rozenbaum die Familien-Tragikomödie "A strange course of events" vor. Am Dienstag zeigt der dokumentarische Episodenfilm "Footsteps in Jerusalem" Momentaufnahmen der Stadt. Filmemacher Benjamin Friedeberg stellt den Film vor und die Filmschule Sam Spiegel, an der der Film entstand. Von Donnerstag bis Montag, 3.11., läuft "Get - Der Prozess der Viviane Amsalem", ein Film über eine äußerst mühsame Scheidung vor dem jüdisch-orthodoxen Rabbinatsgericht. Zur Vorstellung am Donnerstag kommt Benjamin Chait, Kantor der Synagogengemeinde Saar, ins Achteinhalb und erklärt Aspekte der Scheidung nach jüdischer Tradition. Alle Vorstellungen beginnen um 20 Uhr, abgesehen vom Eröffnungsfilm (19 Uhr). redInformationen unter www.kinoachteinhalb.de

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