Brexit treibt die britische Kulturszene um

London · Eigentlich war es ein gutes Jahr für Londons Kunst-und Museumsszene: gestiegene Besucherzahlen, neu eröffnete Museen. Doch die Unsicherheit, die der Brexit für den Kulturbereich bedeutet, überschattet alles.

Die derzeitige gedrückte Stimmung in Großbritannien wird nicht dadurch besser, dass gleich an zwei der größten Museen Londons Wachwechsel vollzogen wurden. Martin Roth, der deutsche Direktor des Victoria and Albert Museums, nahm im September nach fünf Jahren seinen Hut. Enttäuschung über das Brexit-Votum und seine Folgen waren einer der Gründe für seine Entscheidung. Wenig später gab Nicholas Serota, Direktor der Tate Galleries, bekannt, dass er im Februar nach fast 30 Jahren abdankt und den Vorsitz des einflussreichen Arts Council übernimmt, des höchsten Bindeglieds zwischen der Kunstwelt und der Regierung. Noch dazu zog nach dem Weggang von Neil MacGregor nach Berlin mit Hartwig Fischer 2016 im British Museum ein neuer Chef ein.

Politische Unsicherheiten und Personalwechsel führten aber nur zu vorübergehender Irritation. Ende Oktober legten rund 500 Vertreter von Museen, Theatern, Musik-, Mode- und Filmwelt ihre "rote Linie" für die Brexit-Verhandlungen der Regierung fest. Organisiert in der Creative Industries Federation, verlangten sie in ihrer umfassenden Analyse die genaue Bestandsaufnahme der jetzigen EU-Förderung. Dazu den geschätzten künftigen Verlust der Mittel und deren Ersatz durch die Regierung, die Überprüfung branchenspezifischer Regulierungen, den Schutz von Urheberrechten und erleichterte Anwerbe- und Visabedingungen.

Der Beitrag der Kunst- und Unterhaltungsbranche zur Gesamtwirtschaft wird von der Regierung mit jährlich mehr als 87 Milliarden Pfund (102 Milliarden Euro) bewertet. Der Export "kreativer Industrien" brachte zuletzt (2014) rund 20 Milliarden Pfund ein. "Damit ist dies der am schnellsten wachsende Sektor der britischen Volkswirtschaft", stellt der Bericht fest. Nach Angaben des stellvertretenden Labour-Vorsitzenden Tom Watson hat allein die britische Hauptstadt zwischen 2007 und 2013 jährlich umgerechnet 7,5 Millionen Euro aus dem Kulturfördertopf der EU erhalten. Er kritisierte, dass die konservative Regierung von Theresa May bisher nicht deutlich gesagt habe, ob und wie sie die Finanzierung nach dem Austritt Großbritanniens aufrechterhalten will.

Befürchtet wird auch eine Aushöhlung der traditionellen "Brückenfunktion" Großbritanniens zwischen Europa und den USA beim kulturellen Austausch und der Anwerbung von Musical- und Theater-Darstellern. Tate-Direktor Serota warnte in diesem Zusammenhang vor der Errichtung "künstlicher Barrieren". Der Erfolg der Tate Modern und ihrer Schwestergalerien habe maßgeblich mit der Anwerbung von qualifiziertem Personal "auf allen Ebenen und in ganz Europa" zu tun.

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