Kompliziertes Verhältnis zum berühmtesten Sohn

Trier · Analyse China will Trier zum 200. Geburtstag von Karl Marx eine Riesen-Statue schenken. Das gefällt nicht jedem. Jetzt sollen die Bürger doch noch überzeugt werden.

"Und was kommt als Nächstes? Kim Jong-un?" Missmutig steht ein älterer Bürger auf dem Trierer Simeonstiftplatz und betrachtet eine hölzerne Silhouette. Mit Sockel ragt sie rund 6,30 Meter über den Boden auf. Sie zeigt einen bronzefarbenen Karl Marx in Gehrock mit rauschendem Bart und energischem Blick. Noch ist es ein Dummy, vor dem sich am Aschermittwoch zwei Dutzend Trierer und zahlreiche Journalisten versammeln. 2018 soll auf dem Platz am Rande der Fußgängerzone eine bronzene Statue des chinesischen Künstlers Wu Weishan stehen. Es ist ein Geschenk der Volksrepublik an die Stadt - zum 200. Geburtstag ihres berühmtesten Sohnes.

Am 5. Mai 1818 wurde der Philosoph und Ökonom in Trier geboren. Zwar verließ er nach dem Abitur am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium 1835 die Stadt, um in Bonn, später in Berlin Jura zu studieren. Doch die Wurzeln des Theoretikers des Sozialismus liegen an der Mosel. In Scharen pilgern jedes Jahr tausende Touristen aus dem offiziell noch immer kommunistischen Reich der Mitte zu seinem Geburtshaus, dem Museum Karl-Marx-Haus.

Hochrangige Politiker von Willy Brandt bis Erich Honecker haben das Museum der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung auch besucht. Doch die Stadt und ihre Bürger haben sich über die Jahrzehnte schwer getan, haben mit Marx und seinen Leistungen gefremdelt. Seit Monaten diskutiert die Öffentlichkeit daher auch über das Geschenk aus China, über dessen Annahme der Stadtrat voraussichtlich am 13. März entscheidet. Genau diese Diskussionen habe man gewollt, sagt Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD). Das Jubiläumsjahr diene dazu, den Denker zu hinterfragen. Mittlerweile seien viele Trierer stolz auf "ihren" Karl, so Leibe.

Tatsächlich ist seit Jahren eine neue Entspanntheit im Umgang mit Marx zu beobachten. So stellte der Künstler Ottmar Hörl 2013, zum 195. Geburtstag, 500 knallbunte meterhohe Marx-Figuren vor der Porta Nigra auf; sie wurden zum beliebten Foto- und Sammlermotiv. An der Universität kursieren Tassen, T-Shirts und andere Werbeartikel mit dem Rauschebart-Marx als Logo. Sie werden vom Studierendenausschuss vertrieben, der seit Jahrzehnten eine Umbenennung der namenlosen Hochschule in "Karl-Marx-Universität Trier" fordert.

Entspannt hat sich auch der Umgang der Kirche mit Marx. Der ebenfalls aus Trier stammende Vordenker der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, hatte einst Marx' Forschung gewürdigt: "Wir alle stehen auf den Schultern von Karl Marx." Der vormalige Trierer Bischof und jetzige Münchner Kardinal Reinhard Marx sorgte 2010 für Aufsehen, als er sein Buch "Das Kapital" vorstellte. Darin kritisierte er die Auswüchse der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und würdigte mit dem Titel die Leistung seines Namensvetters - bei aller kritischen Distanz zu dem Atheisten, der Religion "Opium des Volkes" nannte.

Vor allem die Museen arbeiten mit Hochdruck an den Vorbereitungen des Karl-Marx-Jahres. Wie zuletzt 2016 bei der großen Nero-Ausstellung gibt es eine Kooperation mehrerer Häuser. Ging es bei Nero darum, das Bild des tyrannischen Christenverfolgers durch neuere Erkenntnisse zu relativieren, soll auch der Blick auf Marx erweitert werden. Die Landesausstellung "Karl Marx 1818-1883. Leben. Werk. Zeit" will den Menschen und sein Umfeld, seine Interessen und die äußeren Umstände beleuchten. Die Schau soll 150 000 Besucher anlocken.

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