Sprache als Gift

Sie alle taten es: seriöse Demokraten, katholische Würdenträger, idealistische Umweltaktivisten und Tierschützer. Der sprachliche Tabubruch in Form von Nazi-Vergleichen oder der Verwendung von NS-Begriffen ist kein neues Phänomen. So bezeichnete schon Willy Brandt den einstigen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler als "seit Goebbels schlimmsten Hetzer in unserem Land", während Edmund Stoiber Oskar Lafontaine bezichtigte, eine "durchrasste" Gesellschaft anzustreben. Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin wiederum stellte George W. Bush mit Hitler in eine Reihe, Wolfgang Schäuble tat dasselbe erst kürzlich mit Wladimir Putin. Bischöfe und Erzbischöfe wie Walter Mixa , Johannes Dyba und Joachim Meisner brandmarkten Abtreibung als "Kinder-Holocaust", Atomkraftgegner benutzten Parolen wie "Gorleben ist Holocaust", und schon Tierprofessor Bernhard Grzimek etikettierte das Produkt von Käfig-Legehennen als "KZ-Eier".

Die Empörung angesichts solcher wohlkalkulierter Entgleisungen ist zumeist (noch) heftig. Und das Gros der Urheber übt hernach scheinbar einsichtig die Kehrtwende, das ist längst Routine. Echtes Bedauern nimmt man ihnen aber nur selten ab, haben sie doch ihr Maximalziel erreicht: höchstmögliche mediale Aufmerksamkeit für ihre politische oder ideologische Befindlichkeit. Historische Unkenntnis kann man diesen prominenten Provokateuren freilich kaum vorwerfen - und das macht ihr Handeln umso fragwürdiger. Populismus dieser verwerflichen Art kann nicht zum Zweck deklariert werden, der die Mittel heiligt. Denn er dient einschlägigen Kreisen als rhetorisches Vorbild und wirkt somit als Argumentationsgift im öffentlichen Diskurs - ob nun wie früher am Stammtisch oder gegenwärtig in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter .

Dass die Sprache vor allem vor dem Hintergrund der Flüchtlingsfrage zunehmend verroht, dürfte indes ein Trugschluss sein. Zwar werden die Ausfälle - auch dank Pegida und AfD - lauter, konzertierter, konzentrierter. Andererseits hören die Gegner der Rechtsextremen genauer hin. Die Toleranzschwelle für menschenverachtende Parolen sinkt, auch in den sozialen Medien. Ein Lichtblick.

Das war vor der Asyldebatte so leider nicht der Fall. In Berlin etwa durften Demonstranten vor zwei Jahren noch vernehmlich "Juden ins Gas" skandieren, ohne dass die deutsche Öffentlichkeit mit adäquater Empörung reagierte. Selbst die Justiz blieb stumm trotz zahlreicher Anzeigen aufgebrachter Zeugen. Es gilt also, wachsam zu bleiben. Der gesellschaftliche Konsens über die Einzigartigkeit der NS-Verbrechen darf nicht aufgeweicht werden - nicht von Seiten alteingesessener Bürger, aber auch nicht von Seiten Asylsuchender in unserem Land.

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