Vom Problemfall zum Star: Der Aufstieg des Anthony Joshua

London/Berlin · Der Profiboxer gibt sich zumeist freundlich und zurückhaltend. Doch als Teenager zeigte der Gegner von Wladimir Klitschko auch andere Seiten.

Für Ex-Weltmeister Tyson Fury ist er nur ein "lausiger Kämpfer", für Altmeister George Foreman der Favorit des Mega-Kampfes am Samstag gegen Wladimir Klitschko (22 Uhr/RTL). Die Meinungen über Anthony Joshua gehen weit auseinander. Das liegt auch an der Biografie des Jungstars. Anthony Oluwafemi Olaseni Joshua lässt sich in keine Schablone pressen.

In der Öffentlichkeit tritt der junge Schwergewichts-Boxer freundlich und zurückhaltend auf. Der gelernte Maurer lacht viel, lässt sich gerne mit seinen Neffen und Nichten für die Sozialen Netzwerke ablichten und genießt das Leben im Hotel Mama. Doch nicht immer war Joshua der freundliche Familienmensch, in seiner Jugend geriet der 1,98 Meter große Hüne mit dem Gesetz in Konflikt. Bereits als Teenager wurde der Musik-Fan aus der englischen Kleinstadt Watford festgenommen - unter anderem wegen Körperverletzung. 2009 bekam er eine elektronische Fußfessel angelegt, durfte nachts das Haus nicht verlassen.

Als die Polizei zwei Jahre später Cannabis bei ihm fand, stand seine sportliche Karriere auf der Kippe. Joshua hatte Glück, entging nur knapp einer Gefängnisstrafe, musste stattdessen 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verrichten. "Ohne das Boxen würde ich wahrscheinlich im Knast sitzen. Der Sport hat mein Leben gerettet", sagt der Sohn nigerianischer Einwanderer. 2008 entdeckte der Sportfan das Box-Gym und fand dort ein Ventil für seinen Frust und seine unbändige Kraft. "Das war der Wendepunkt in meinem Leben", sagt er.

Der Durchbruch gelang "AJ" bei Olympia 2012 im eigenen Land, als er im Superschwergewicht die Goldmedaille gewann. Englands Top-Promoter Eddie Hearn erkannte sofort das große Talent und nahm den Ausnahmekönner 2013 unter Vertrag. Seitdem geht es mit Joshua steil bergauf. Am 9. April vergangenen Jahres sicherte er sich gegen den US-Amerikaner Charles Martin die Box-Krone der IBF. In der zweiten Runde schickte der Jung-Profi den Amerikaner auf die Bretter, bislang hat er alle 18 Kämpfe vorzeitig gewonnen.

Die Stärke des britischen Senkrechtstarters ist, dass er keine Schwächen hat. Er schlägt hart und schnell, hat eine gute Beinarbeit und ein großes Kämpferherz. Schwierige Voraussetzungen für den 14 Jahre älteren Herausforderer Klitschko, der schon gegen den technisch schwächeren Tyson Fury große Probleme hatte.

Allerdings könnte dem Youngster die fehlende Erfahrung vor der außergewöhnlichen Kulisse zum Verhängnis werden. Noch nie kämpfte er vor so einem riesigen Publikum. Klitschko hat mehrere Stadion-Kämpfe hinter sich, trat 2009 bei seinem Sieg durch Aufgabe über Ruslan Chagajew vor über 60 000 Fans auf Schalke auf.

Die gesunde Selbsteinschätzung und Unerschrockenheit gehören zu den weiteren Stärken des Anthony Joshua, der den Boxboom auf der Insel weiter fördern soll. Nach seinem letzten Sieg gegen den US-Amerikaner Eric Molina, den er im vergangenen Dezember in der dritten Runde durch technischen K.o. entsorgte, meinte Joshua: "Wenn ich Wladimir schlagen will, muss ich ein höheres Level erreichen." Wahrscheinlich hat Joshua Recht, und wahrscheinlich hat er bereits ein höheres Level erreicht. Denn als trainingsfleißig gilt er auch. Bis zu 13 Stunden soll der Vater des zweijährigen Joseph an bestimmten Tagen trainieren. Das dürfte selbst Klitschko nicht schaffen.

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