Zu viel Erdogan in der Türkei

Meinung · Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat gestern beim Parteitag seiner AKP die Weichen für seinen geplanten Wechsel ins Präsidentenamt gestellt. Dabei versprach Erdogan weitere demokratische Reformen und besonders einen neuen Versuch, den blutigen Kurdenkonflikt auf friedlichem Wege beizulegen

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat gestern beim Parteitag seiner AKP die Weichen für seinen geplanten Wechsel ins Präsidentenamt gestellt. Dabei versprach Erdogan weitere demokratische Reformen und besonders einen neuen Versuch, den blutigen Kurdenkonflikt auf friedlichem Wege beizulegen. Das sind Worte, die einem Präsidenten aller Türken und Kurden in der Türkei angemessen sind. Doch nun muss der Ministerpräsident Erdogan mit konkreter Politik beweisen, dass auf das Wort des künftigen Präsidenten Erdogan Verlass ist. Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre kann man da nicht unbedingt sicher sein.Erdogan ist ein Parteipolitiker durch und durch. Taktik und Wahlkämpfe sind ein Geschäft, das der 58-jährige besser beherrscht als sonst jemand in der Türkei. Nicht nur in seiner AKP, in der ganzen türkischen Politik ist Erdogan ohne Konkurrenz. Er hat die Türkei zu einem nie dagewesenen Wirtschaftsboom geführt, hat sie zur Regionalmacht entwickelt, hat den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen durchgesetzt, hat die früher so mächtigen Militärs in die Knie gezwungen.

Jetzt, nach einem Jahrzehnt der Wahlerfolge seiner Partei, greift er nach Höherem. Die große Frage ist, ob sich der Spalter Erdogan, für den Polarisierungen und die Rücksicht auf die eigene Wählerbasis bisher zum täglichen Brot gehörten, zum Versöhner wandeln kann, der Türken wie Kurden, Linken wie Rechten und Säkularisten wie Religiösen das Gefühl gibt, dass er für alle im Land spricht. Erdogans Ankündigungen auf dem Parteitag lassen hoffen. Aber schon 2007 versprach er, sich für alle in der Türkei verantwortlich zu fühlen. Danach gehandelt hat er nicht immer.

Beispiel Kurdenpolitik: In den vergangenen Jahren begann die Regierung mit einer zaghaften Öffnung gegenüber der größten ethnischen Minderheit. Doch die Öffnungspolitik blieb stecken, Geheimverhandlungen mit den PKK-Kurdenrebellen wurden ergebnislos abgebrochen. Nun will Erdogan sie wieder aufnehmen. Einer der Tests für die Glaubwürdigkeit des Präsidenten in spe. Dafür spricht: Die Bevölkerung ist nach fast 30 Jahren Gefechten mit mehr als 40 000 Toten kriegsmüde. Im Kurdengebiet kann die AKP nicht mit immer neuen Militäraktionen punkten, wohl aber mit einer überzeugenden Friedenspolitik.

Darin liegt die Chance für die Türkei. Das Risiko wurde bei der AKP-Jubel-Veranstaltung überdeutlich. Erdogan ist so dominierend, dass er in Partei und Regierung schalten und walten kann, wie er will. Allenfalls der derzeitige Präsident Abdullah Gül kann ihm das Wasser reichen. Fast alles in der Türkei hängt also von einer einzigen Person ab. Für eine Demokratie ist das nicht gesund.

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