NSU-Prozess Zschäpes Anwälte gehen in die Offensive

MÜNCHEN (dpa) Jetzt also. Jetzt geht es für Beate Zschäpe um alles. Und für ihre beiden Vertrauensanwälte, Hermann Borchert und Mathias Grasel. Viele, viele Verzögerungen hatte es zuletzt gegeben, schier endloses juristisches Hickhack, immer neue Befangenheitsanträge. Noch am Dienstagvormittag gibt es neue Querelen, sogar die Abtrennung des Verfahrens gegen einen der vier Mitangeklagten steht im Raum. Doch um Punkt 12.58 Uhr, nach fast fünf Jahren NSU-Prozess, bekommen tatsächlich die Verteidiger der Rechtsterroristin das Wort für ihr Plädoyer. Damit soll das Mammutverfahren in seine letzte Etappe eintreten. 

Zschäpes Anwälte wissen, dass dies wohl ihre allerletzte Chance ist, ihre Sicht der Dinge darzulegen auf die Verbrechensserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, die die Republik erschüttert hat. Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer keine Zweifel aufkommen lassen. Nach Überzeugung der Anklage ist Zschäpe Mittäterin an allen Verbrechen des NSU: den neun Morden an türkisch- und griechischstämmigen Gewerbetreibenden, dem Mord an einer deutschen Polizistin, zwei Bombenschlägen mit Dutzenden Verletzten sowie insgesamt 15 Raubüberfällen. Im November 2011 setzte Zschäpe, das hat sie eingeräumt, zudem die letzte Fluchtwohnung des NSU in Zwickau in Brand. Die Anklage fordert deshalb die Höchststrafe für die heute 43-Jährige: lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung.

Diese Vorwürfe müssen Zschäpes Anwälte nun kontern. Ihr Mindestziel muss sein, die Höchststrafe abzuwenden. Deshalb wird Borchert auch schon zu Beginn überdeutlich. Er kritisiert die Beweiswürdigung der Bundesanwaltschaft als mangelhaft und einseitig. Die Anklage habe zwar akribisch Beweismittel ausgebreitet, diese reichten aber „weder im Einzelnen noch in der Gesamtschau“ aus, um die höchstrichterlich festgelegten Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Mittäterschaft zu erfüllen. Zschäpe, so der Anwalt, habe über die Motive ihrer beiden Komplizen und Mitbewohner Uwe Böhnnhardt und Uwe Mundlos gar nichts gewusst. Das ist eine zentrale Frage des ganzen Prozesses: War Zschäpe im juristischen Sinne Mittäterin? Dann könnte sie verurteilt werden, als hätte sie selbst den Abzug der „Ceska“ gedrückt, der Waffe, mit der der NSU jahrelang mordend durch die Republik zog.

Borchert und Grasel aber wollen ein anderes Bild ihrer Mandantin zeichnen, eines, das Zschäpe in ihren schriftlichen Einlassungen auch selbst vermitteln wollte: Dass sie keine kaltblütige Mörderin sei; dass sie die Morde und Anschläge ihrer Freunde nicht mitgeplant und unterstützt habe. Borchert geht die Bundesanwaltschaft frontal an, wirft den Anklägern haltlose Behauptungen und Falschinterpretationen vor. Richtig sei zwar, dass Zschäpe bei der Tarnung des Untergrundlebens geholfen habe. Nicht richtig sei aber, dass Zschäpe damit beabsichtigt habe, Mord- und Bombenanschläge ihrer beiden Freunde zu tarnen. Und Zschäpe war nach den Worten des Verteidigers auch keineswegs „Kassenwart“ des Trios, wie von der Bundesanwaltschaft vorgebracht.

Welche Strafe sie für ihre Mandantin für angemessen halten, werden Grasel und Borchert erst am Ende ihres Plädoyers sagen. Das dürfte frühestens heute sein. Anschließend sollen, nach einer gewissen Pause, Zschäpes Altverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm an die Reihe kommen. Sie hatten den gesamten Prozess von Anfang an mitgemacht – anders als Grasel und Borchert, die erst später hinzukamen. Dann sollen die Anwälte der vier Mitangeklagten drankommen. Und dann, ja, dann wird das Urteil kommen. Wann genau, ist unklar.

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