Zoff um ungeschwärzte NSU-Akten

Berlin/Erfurt. Verkehrte Welt bei der Aufklärung der Neonazi-Morde: Bislang gab es immer wieder Unmut, weil Länder und Sicherheitsbehörden zu wenig Informationen rund um die Terrorzelle NSU lieferten. Nun gibt es Ärger wegen zu viel Informationen. Die Thüringer Landesregierung hat kistenweise ungeschwärzte Akten an den Neonazi-Untersuchungsausschuss im Bundestag gegeben

Berlin/Erfurt. Verkehrte Welt bei der Aufklärung der Neonazi-Morde: Bislang gab es immer wieder Unmut, weil Länder und Sicherheitsbehörden zu wenig Informationen rund um die Terrorzelle NSU lieferten. Nun gibt es Ärger wegen zu viel Informationen. Die Thüringer Landesregierung hat kistenweise ungeschwärzte Akten an den Neonazi-Untersuchungsausschuss im Bundestag gegeben. Darin finden sich auch die Klarnamen von V-Mann-Führern. Und: Die Erkenntnisse stammen nicht nur vom Verfassungsschutz in Thüringen, sondern auch aus anderen Ländern und dem Bund. Verfassungsschützern geht das zu weit. Thüringen muss sich plötzlich für seinen Aufklärungswillen rechtfertigen.

Die Obleute im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hatten zuletzt viel Kummer. Immer wieder kamen wichtige Unterlagen erst auf Umwegen ans Licht, eine Panne reihte sich an die nächste. Auf die Akten einiger Behörden warten die Abgeordneten noch immer. Um die Bereitschaft zur Aufklärung sei es bei vielen Stellen in Bund und Ländern nicht besonders gut bestellt, schimpften die Parlamentarier. Thüringen bemüht sich nun, das Gegenteil zu beweisen. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) hat seine Keimzelle in Thüringen: Das Terrortrio - Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe - stammt aus Jena. Das ostdeutsche Land steht deshalb seit Beginn der NSU-Aufarbeitung unter großem Druck.

Verfassungsschützer reagierten aber sauer auf die neue Thüringer Offenheit. In einer Telefonkonferenz leitender Verfassungsschützer aus Bund und Ländern soll von Landesverrat die Rede gewesen sein und von möglichen strafrechtlichen Konsequenzen für Innenminister Jörg Geibert (CDU). Aus dem Bundesinnenministerium heißt es zu dem Fall distanziert, die Weitergabe der ungeschwärzten Unterlagen werfe Fragen auf. Es gebe aus guten Gründen Regeln für derartige Aktenlieferungen: Unter anderem müssten Behörden, deren Schriftstücke betroffen seien, grundsätzlich vorher gefragt werden.

Geibert lässt die Kritik kalt - vor allem der Vorwurf des Landesverrats. "Das ist völlig abwegig", sagt er. Schließlich seien die Parlamente keine fremden Mächte, sondern hätten einen rechtlich verbürgten Informationsanspruch. Auch die umstrittene Weitergabe von Klarnamen von V-Mann-Führern findet er richtig. Schließlich habe Thüringen die Geheimhaltungseinstufungen für die Akten nicht aufgehoben.

Rückendeckung bekommt Geibert von den Untersuchungsausschüssen im Bundestag und im Thüringer Landtag. Beide Gremien lobten die Kooperationsbereitschaft der Landesregierung und nahmen den Minister in Schutz. Die Obleute im Bundestagsausschuss verzichteten vorerst darauf, die geheimen Akten selbst einzusehen. Ein Ermittlungsbeauftragter soll das übernehmen, bis geklärt ist, wie die Parlamentarier damit umgehen können. Die nächste Aktenlieferung nach Berlin hat Geibert bereits für Ende Oktober oder Anfang November angekündigt: "In der Größenordnung von 1000 Akten" - ungeschwärzt. dpa

Foto: Schutt/dpa

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