Zerstörerische Freundschaft

Saarbrücken

Saarbrücken. Aussaugend, räuberisch, ausbeutend - diese Attribute beschreiben im neuen Roman David Albaharis nicht etwa das Verhältnis eines Schmarotzers gegenüber seinem Wirt im Tier- und Pflanzenreich; sondern "Ludwig", gesehen durch die Augen seines erfolglosen Schriftstellerkollegen: Hat ihm Ludwig Ideen geklaut? Der Neid auf diesen Tausendsassa treibt hier die Rede eines namenlos bleibenden Ich-Erzählers an, so ausgreifend, dass sie bald schon die Gestalt einer furiosen Anklage annimmt. Die Suada ist bekanntlich ein beliebtes Stilmittel, will man möglichst ungestört eine Sicht ausbreiten. Keiner unterbricht. Die Widerstände regen sich allein beim Leser. Gerade darin liegen aber auch Gefahr und Kunst dieser Form: die Widerstände so einzukalkulieren, dass der Unmut des Lesers nicht auf den Roman selbst zielt. David Albahari kennt Fluchtwege aus dieser Gefahrenzone. Und so entwickelt sich sein Sprach- und Bilderrausch rasch zur Etüde. Das Thema verlagert sich dabei unmerklich weg vom neidvollen Gebaren eines erfolglosen, untätigen Schriftstellers, hin zu einem Traktat über die Tat, von der man am Ende nicht weiß: War sie gerechtfertigt? Wahn? Oder nur die Niederschlagung zermürbender Stimmen ein und derselben Person? In "Ludwig" zelebriert Albahari eine Freundschaft und ihr Ende. Hingerissen ist der Ich-Erzähler, als er Ludwig Anfang der unruhigen 60er im Hof der Philosophischen Fakultät begegnet. Bald schon wird er zu seinem Vertrauten und Sekretär. Sein eigenes Projekt, das "Buch der Bücher", ruht. Aber es existiert in seiner Vorstellung, als Möglichkeit. Bereitwillig erzählt er Ludwig davon - mit offenbar ungewünschten Folgen. Irgendwann während des Aufblühens und Zerbrechens der wunderbaren Möglichkeit eines zu schreibenden Buches begann wohl der Verfolgungswahn dieser immerzu anklagenden Figur. Aber auch ihre geheime Lust. Anfangs sind es nur Unterwürfigkeiten, die über den Dienst eines Sekretärs und Freundes hinausgehen. Etwa kleine Zuwendungen beim Frühstück, Szenen wie zwischen Diva und Diener. Ludwig, der eitle Meister, liest, während der Ich-Erzähler ihn mit Apfelstückchen versorgt. Später ereifert man sich in dieser seltsamen Wohngemeinschaft über Literaturtheorie, bis sich beide "wie zwei kleine Jungs zwischen den Möbeln" wälzen, gebadet bald in dickem, klebrigen Schweiß, sich die Argumente einander zärtlich ins Ohr flüsternd. Dann scheint wieder alles ganz harmlos: "Während ich so tat, als schriebe ich, und es nicht tat, tat er so, als schreibe er nicht, und tat es." Was geht hier vor? Masken, Lügen, Verstellungen sind das Repertoire dieser Prosa und Feind von Freund bald nicht mehr zu unterscheiden. Ein Thema, das der Autor, 1948 in Serbien geboren und seit 1994 in Kanada lebend, nicht ohne Hintersinn im Belgrader Literaturbetrieb spielen lässt. "Ludwig" thematisiert Abhängigkeiten - vom System, von Menschen. Es gibt Passagen, die erschöpfen. Anderen erliegt man. Dann wird die Rede zur Einrede mit manipulativer Kraft und zwingend unheimlich. David Albahari: Ludwig. A. d. Serb. von Mirjana und Klaus Wittmann. Eichborn, 152 S., 17,95 €

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