Zeitlose Aufputschmittel

Frankfurt · 20 Jahre nach dem gefeierten Debütalbum „L'Etat et Moi“ geht die Hamburger Band Blumfeld in diesem Sommer auf Reunion-Tour. Ein Ereignis, das im Vorfeld durchaus kritisch beäugt wurde. Mit Recht? Wir haben das Frankfurter Konzert am Donnerstag besucht.

Als vor 20 Jahren das Album "L'Etat et Moi" der Hamburger Band Blumfeld erschien, brannten in Deutschland Asylbewerberheime, die Linke musste sich nach der Wiedervereinigung erst wieder sammeln, und Kurt Cobain hatte sich gerade das Leben genommen. "L'Etat et Moi" wurde verstanden als Kommentar zum Zustand einer desorientierten Jugendkultur, zugleich als richtungsweisende Rückkopplungskunst, in der avancierter Pop, lyrische Hip-Hop-Collagen und ein mitreißender Gesang eine anregende Mischung ergaben.

Jochen Distelmeyer , Kopf der Band, wurde mehr oder minder unfreiwillig zum Vordenker und Vorsänger einer Generation, und "L'Etat et Moi" zur Blaupause für engagierte Popmusik in Deutschland. Die Hamburger Schule hatte mit Blumfeld ihren Klassenprimus. Nach etlichen Wandlungen der Gruppe und nach deren Auflösung 2007, haben sich Blumfeld in diesem Spätsommer überraschend wieder in Originalbesetzung (mit Eike Bohlken am Bass und Andre Rattay am Schlagzeug) zusammengefunden - eine Reunion-Tour zur Feier von 20 Jahre "L'Etat et Moi". In den Musikzeitschriften und Feuilletons wurde das Ereignis ausführlich, aber nicht nur wohlwollend kommentiert. Manch einer fragte sich, ob durch die Re-Inszenierung der Platte nicht eine bedeutsame historische Wegmarke in eine nostalgische Verklärungsnummer verwandelt würde. Wie kann man Songs, die man mit Anfang 20 aus innerer Not und in jugendlicher Selbstermächtigung der Welt entgegenbrüllte, nun mit Mitte 40 nochmal so darbieten, dass man weder Verrat an seinem früheren Ich begeht noch sich allzu sehr lächerlich macht?

Seit dieser Woche ahnt man, dass es gerade nochmal gut gegangen ist: Blumfeld spielten sich bei ihrem Frankfurter Konzert mit Verve durch die ganz frühen Jahre. Die Stücke, auch vom Debütalbum "Ich-Maschine", teils in raffinierten neuen Arrangements, haben nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. Der romantische Gestus und das kritische Bewusstsein, die sich in ihnen spiegeln, wirken noch immer direkt auf den Körper: Die raue, vom Punk getriebene Musik kickt; Distelmeyers Stimme und Ausstrahlung bleiben unwiderstehlich. Witz und Ironie packt er in seine Zwischenansagen; die Songs selbst, und das ist vielleicht ein Grund für ihren fortdauernden Reiz, sind ganz frei von Ironie. Es sind Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand, die doch weniger an das Jahr 1994 gebunden sind als man gedacht hätte. Zeitlose Aufputschmittel. Rock'n'Roll rettet vielleicht nicht Leben, aber er gibt dem "Leben einen neuen Sinn", wie es in einem Blumfeld-Text heißt. Und Sinn hat mit Sinnlichkeit zu tun, was man deutlich spürt, wenn man beim Konzert von den Gitarrenriffs umgeweht wird.

Schön wäre es freilich, die "originalen" Blumfeld würden nicht nur zurückblicken, sondern mit einer neuen Platte auch dem Jetzt etwas entgegensetzen. Immerhin, ganz ausschließen wollten die Drei neue Aufnahmen nicht. Dauern aber dürfte das eine Weile. Denn im Januar erscheint erst einmal Distelmeyers Roman-Debüt.

Weitere Konzerte: Samstag in Wien, Sonntag in Linz, 11.9. in Münster, 14.9. in Hamburg. Weitere Infos: www.blumfeld.de

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