"Zeit hilft, mit Wunden zu leben"

Haben Sie heute mehr Zeit für das, was Sie tun wollen, als früher?Suter: Leider nicht allzu viel. Ich scheine notorisch unter Zeitnot zu leiden. Und ich fürchte, es hat mit meiner Organisation zu tun.Dabei gelten Sie als Zeitexperte. In Ihrem neuen Roman versucht ein Mann, in einem gewagten Experiment die Zeit zurückzudrehen

Haben Sie heute mehr Zeit für das, was Sie tun wollen, als früher?Suter: Leider nicht allzu viel. Ich scheine notorisch unter Zeitnot zu leiden. Und ich fürchte, es hat mit meiner Organisation zu tun.

Dabei gelten Sie als Zeitexperte. In Ihrem neuen Roman versucht ein Mann, in einem gewagten Experiment die Zeit zurückzudrehen.

Suter: Ja, die Zeit interessiert mich seit meiner Jugend. Ich habe leidenschaftlich Zeitreisegeschichten gelesen. Und die Frage, was passsiert, wenn man in die Vergangenheit reisen und dort etwas verändern könnte, was die Auswirkungen auf die Gegenwart wären, hat mich schon immer fasziniert. Mein erstes Kinodrehbuch, "Jenatsch", war ein Zeitreiseabenteuer, mein erster veröffentlichter Roman, "Small World", auch.

Halten Sie Zeitreisen für möglich?

Suter: An das, was man in einem Roman beschreibt, muss man auch ein wenig glauben. Und sei es nur während des Beschreibens.

Würden Sie die Zeit manchmal gerne zurückdrehen können?

Suter: Wer nicht? Aber ich bin Realist genug, zu wissen, dass das nicht geht.

Spüren Sie an den Reaktionen auf ihr Buch, dass viele Menschen über Ihr Thema nachdenken?

Suter: Ja. Viele Leser sagen mir, dass sie noch lange über das Buch nachgedacht haben. Ein Zeitexperte hat sich auch gemeldet: Ein Schweizer, der eine eigene Theorie über die Nichtexistenz der Zeit entwickelt hat.

Hat sich Ihr eigener Umgang mit Zeit verändert?

Suter: Wenn man älter wird, wird man sich der Zeit immer bewusster. Erstens, weil sie einem langsam ausgeht. Zweitens, weil man immer mehr Vergangenheit und immer weniger Zukunft hat. Aber trotzdem schaffe ich es nicht, wirklich bewusster mit der Zeit umzugehen.

Doch Sie nutzen Ihre Zeit effektiv: Seit 2010 haben Sie ein Drehbuch und vier Romane veröffentlicht: "Der Koch", zwei "Von-Allmen"-Bände und "Die Zeit, die Zeit".

Suter: So gewaltig ist das nicht. "Der Koch" war eigentlich schon im Herbst 2009 fertig. Ich habe also in den vergangenen drei Jahren neben dem Drehbuch - eine Arbeit von vielleicht sechs Wochen - drei Romane von insgesamt etwa 700 Seiten geschrieben. Das sind im Schnitt keine zwanzig Zeilen pro Tag. Daran überarbeitet man sich nicht.

Wann vergeht Ihre Zeit am Schnellsten und am Langsamsten?

Suter: Wie wohl bei uns allen: am langsamsten beim Warten, am schnellsten beim Altern.

Und beim Schreiben?

Suter: Auch da vergeht sie sehr rasch. Manchmal formuliere ich an einem Satz herum und merke plötzlich, dass darüber schon über eine Stunde vergangen ist.

Folgen Sie im Entstehungsprozess eines Buches einem Zeitplan?

Suter: Wenn ich an einem neuen Roman bin, schon. Dann schreibe ich täglich, vormittags und nachmittags, wie ein Büroangestellter. Nicht, weil ich so fleißig, sondern weil ich so ungeduldig bin.

Sie tragen eine Uhr. Aus Überzeugung oder Gewohnheit?

Suter: Ich trage immer eine, doch ich schaue nicht oft drauf. Aber nur, weil ich die meiste Zeit am Computer verbringe, wo rechts immer die Zeit läuft und läuft.

Heilt die Zeit alle Wunden?

Suter: Nein, aber sie hilft, dass man mit seinen unverheilten Wunden leben lernt.

Martin Suter: Die Zeit, die Zeit, Diogenes Verlag, 197 Seiten, 21,90 Euro.

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