Wo Harry Potter zaubern lernte

London · Was tun, wenn nach zehn Jahren Arbeit an den Harry-Potter-Filmen fünf Studio-Hallen voll sind mit Kulissen und Kostümen? Man bietet eine Studio-Tour für die zahllosen Potter-Fans an. In den Leavesden-Studios bei London kann man durch bekannte Bauten wandeln. Wir haben eine Tour mitgemacht.

 Wandeln durch die Große Halle – nur die Decke weist den Raum als Kulisse aus. Fotos: Sascha Rettig

Wandeln durch die Große Halle – nur die Decke weist den Raum als Kulisse aus. Fotos: Sascha Rettig

Wenn sich das Tor zur Kulisse der Großen Halle öffnet, brechen die Gefühle einfach heraus. Manche Fans küssen den Boden. Andere sind so aufgeregt, dass sie beim Rundgang durch die Kulissen ein paar Tränen verdrücken. Sogar Ohnmachtsanfälle soll es schon gegeben haben.

Als Jack Read als Elfjähriger zum Dreh von "Harry Potter und der Stein der Weisen" erstmals in den Kulissen stand, hatte er nicht den blassesten Schimmer, bei welchem globalen Phänomen er als winziges Statisten-Mosaikteilchen dabei sein würde. "Potter war mir damals noch kein Begriff. Ich hatte damals das Buch nicht einmal gelesen", sagt der heute 25-Jährige, der aus einem Nachbarort stammt und in allen Filmen als Statist dabei war. Er gehörte wie einige seiner Mitschüler zum großen Pool von 1200 Statisten, die über zehn Jahre hinweg immer wieder in die Zauberfilm-Parallelwelt in direkter Sichtweite der Darsteller Daniel Radcliffe und Emma Watson eintauchten.

"Vier Monate im Jahr haben wir praktisch auf dem Set gelebt", erinnert er sich. "Wir hatten täglich drei Stunden Unterricht, dann wurde gedreht oder einfach auch nur lange auf den Einsatz gewartet." Die Stars der Filme, die damals teils ja selber noch Kinder waren, mischten sich am Drehort unter die Leute. Für Statisten wie Jack war es allerdings tabu, nach Autogrammen zu fragen. Auch ein Original-Ausstattungsstück besitzt er nicht, auch wenn er gerne eines behalten hätte, als Erinnerung. Denn als Read 22 war, da war der ganze Zauber abgedreht - was ihm erst später wirklich bewusst wurde. "Weil wir immer wieder längere Perioden ohne Dreh hatten, kapierte ich das im Grunde erst neun Monate später, als wir nicht noch einmal ins Studio kommen mussten."

Doch der Potter-Entzug dauerte nicht lang. Mit seiner Erfahrung und seiner Begeisterung war es für ihn nur konsequent, in den zur Potter-Attraktion umgebauten Studios anzuheuern, wo zuvor Filme wie der Bond-Thriller "Goldeneye" oder "Sleepy Hollow" mit Johnny Depp entstanden. Dort arbeitet er nun als einer der so genannten Interactors, die die Besucher informieren. "Wir versorgen sie mit Extradetails, von denen niemand etwas wüsste, wenn es diese Studios nicht gäbe." Mal ist er dafür in Dumbledores Büro anzutreffen, in dem viele dicke Wälzer in den Regalen stehen. Die sind eigentlich alte Telefonbücher, aber in Leder eingebunden und zur Alterung mit Staub be- streut. Mal führt er Besucher in den "Creature-Shop", wo die Herstellung von Masken und Latexkreaturen erklärt wird.

Eine gewisse Entzauberung, die ein Verraten der Filmtricks in den Studios mit sich bringt, wird hier aufgewogen durch die Akribie, mit der die Macher einst ans Werk gingen. Und diese Obsession für Details, selbst wenn sie nur als Staffage im Hintergrund verschwanden, wird in den beiden Hallen und auf dem Außengelände in den Studios geradezu uferlos spürbar. Kein Wunder, dass rund 4000 Mitarbeiter über ein Jahrzehnt an der Entstehung der Filme werkelten. Allein 350 Bilder in Öl wurden gemalt und 500 Glasflaschen für das Klassenzimmer für Zaubertränke mit teils obskuren Zutaten bestückt. Insgesamt entstanden für die acht Filme rund 5000 Möbelstücke und 588 Kulissen.

Alles ist echt

 Jack Read

Jack Read

 Ein Laden für Zauberartikel aus der Londoner „Winkelgasse“.

Ein Laden für Zauberartikel aus der Londoner „Winkelgasse“.

 Perücke und Bart für Dumbledore-Darsteller Michael Gambon.

Perücke und Bart für Dumbledore-Darsteller Michael Gambon.

"Manchem Besucher wird erst hier vor Ort bewusst, dass die Kulissen, Kostüme und Ausstattungsstücke allesamt echt sind", erzählt Read. Weil sie in den Potter-Filmen immer wieder zum Einsatz kamen, mussten sie bis zuletzt aufgehoben werden und standen nach Ende der Dreharbeiten als Studio-Attraktion zur Verfügung. Fünf Lagerhallen waren letztlich damit gefüllt. Man musste nur noch eine Auswahl treffen und daraus die Tour gestalten. Die Schlüsselkulissen finden sich nun unter den Exponaten wieder: Es beginnt mit der Großen Halle und ihren langen, eingedeckten Tischreihen. Man streift vorbei am Schlafsaal mit den kleinen Betten, am Zaubereiministerium und durch die Winkelgasse. Im Außengelände kann man im Getümmel der Fanmassen im Bus, dem "Fahrenden Ritter", ein paar Erinnerungsfotos machen.

Read verknüpft natürlich auch ganz andere Erinnerungen mit den Sets. Die Halloween-Feier etwa wurde an seinem zwölften Geburtstag gefilmt. "Das ganze Essen auf den Tischen war echt", erinnert er sich. "Alles, was man als Kind gern essen will, lag vor meiner Nase: Donuts, Süßigkeiten, Jelly-Beans, all dieses Zeug." Zwischen den Einstellungen durften er und sein Bruder, damals ebenfalls Statist, tatsächlich davon essen und konnten natürlich nicht aufhören. "Danach konnten wir keine Süßigkeiten mehr sehen", sagt Read, der in den ersten sechs Filmen einer der vielen Schüler in Hogwarts war. "Von Gryffindore bis Ravenclaw war ich eigentlich in jedem Haus", sagt er. In den letzten zwei Filmen hatte seine Figur sogar einen Namen: Michael Corner, ein Teil von Dumbledores Armee. Im ersten Teil des Finales wurde sein Auftritt herausgeschnitten, im zweiten Teil ist er zu sehen. Als er sich damals die Filme mit seinen Komparsenfreunden ansah, drückten sie sich gegenseitig die Daumen, dass ihre Auftritte den Prozess des Filmschnitts überlebt haben - egal, ob verschwommen im Hintergrund oder sogar in Nahaufnahme.

Die Filme hat er unzählige Male gesehen und schaut sie auch immer wieder - allein schon als Vorbereitung für seinen Job, der eine eigene Potter-Sammlung für Jack überflüssig macht: "Ich habe ja die besten Stücke hier bei der Arbeit."

www.wbstudiotour.co.uk . Weil die Zahl der täglichen Besucher für die Studio Tour begrenzt ist, müssen die Tickets weit vorab gebucht werden.

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