Wo es keiner grellen Töne bedarf

Saarbrücken. Hierzulande bewegt sich die Migrationsdebatte um die Zumutungen, die jede Einwanderung an die aufnehmende Gesellschaft richtet. "Brooklyn" erzählt dagegen aus Sicht einer Irin von deren Emigration

Saarbrücken. Hierzulande bewegt sich die Migrationsdebatte um die Zumutungen, die jede Einwanderung an die aufnehmende Gesellschaft richtet. "Brooklyn" erzählt dagegen aus Sicht einer Irin von deren Emigration. In der Kleinstadt Enniscorthy, in der sie mit ihrer verwitweten Mutter und ihrer älteren Schwester lebt, lernt Eilis Buchführung, hat aber keine Chance auf eine Anstellung in der Heimat. Ihre Familie lebt an der Armutsgrenze. Mutter und Schwester beschließen, sie in die Obhut eines irischen Priesters aus Brooklyn nach Amerika zu schicken, um ihr eine Perspektive zu geben.

Die Überfahrt ist bei stürmischer See eine Katastrophe, markiert das Neue im Leben der jungen Frau. Der Priester hatte ihr nicht nur die begehrten Papiere, sondern auch eine Stelle in einem Kaufhaus und ein möbliertes Zimmer besorgt. Eilis ist tüchtig und anspruchslos. Überall stößt sie auf soziale Kontrolle durch die irische Einwanderungsgesellschaft, sie gelangt gleichsam in eine irische Kleinstadt mitten in New York.

Dort leben auch andere Minderheiten, und Eilis nimmt nach und nach wahr, wie alle irgendwie von irgendwem diskriminiert werden. Sie entwickelt sich zu einer selbstbewussten Frau, die zuweilen von tiefem Heimweh befallen wird, ihre aufrechte Einfachheit bewahrt und sich mit dem Klempner Tony verlobt. Als ihre Schwester stirbt, muss sie nachhause fahren. Tony drängt vorher noch auf Heirat. In Enniscorthy sieht sie, dass sich ihr dort Perspektiven eröffnen. Soll sie bleiben oder nach Brooklyn zurück?

Tóibín erzählt ganz aus Ellis' Perspektive. Er "entwirft" keine Figur, sie ist einfach da - so, wie sie ist. Keine künstliche Spannung stört das Selbstverständliche der Handlung. Wir kennen dies Entwickeln der Erzählung aus "Vorhandenem" aus Tóibíns großartigem Henry-James-Roman "Der Meister in mittleren Jahren". In Brooklyn nähert er sich der Figur mit großer Diskretion in einer genauen Sprache, die auf alle grellen Töne verzichtet. Viele, den Zusammenhang sichernde Einzelheiten grundieren seine Sätze, deren Eleganz eher unter einer opaken Oberfläche liegt als durch Glanz blendet.

Colm Tóibín: Brooklyn. A. d. Engl. von Giovanni und Ditte Bandini, Hanser, 303 Seiten, 21,90 €

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