Ende des Tabus: Berlusconiwill neue Atommeiler bauen

Rom. Italien war eines der wenigen Länder, die der Atomkraft abgeschworen hatten - und das seit zwei Jahrzehnten. Im Jahr nach dem Super-Gau von Tschernobyl stoppten die Italiener mit einer wuchtigen Vier-Fünftel-Mehrheit in einer Volksabstimmung die Nuklear-Energie. Doch seit langem schon löckt die italienische Atomlobby wider den Stachel

Rom. Italien war eines der wenigen Länder, die der Atomkraft abgeschworen hatten - und das seit zwei Jahrzehnten. Im Jahr nach dem Super-Gau von Tschernobyl stoppten die Italiener mit einer wuchtigen Vier-Fünftel-Mehrheit in einer Volksabstimmung die Nuklear-Energie. Doch seit langem schon löckt die italienische Atomlobby wider den Stachel. Der neue Regierungschef Silvio Berlusconi ist jetzt der rechte Mann, dem Referendum von 1987 zum Trotz das nukleare Tabu zu brechen. Das Desaster von Tschernobyl scheint in weite Ferne gerückt. Und Politik und Wirtschaft ziehen an einem Strang, seit Berlusconi in Rom wieder in Amt und Würden ist. Bis 2013 soll also der "Grundstein" für den Bau einer Gruppe von Atomanlagen der neuen Generation gelegt werden. Das verkündigte der Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Claudio Scajola, unter dem Applaus des Arbeitgeberverbandes Confindustria. Berlusconis konservative Regierung hält die Rückkehr Italiens zur Nuklearenergie für "unausweichlich", setzt dabei auf einen europäischen Trend, will unabhängiger von Importen sein und die industrielle Kompetenz wieder stärken. Immerhin hatte Italien schon in den 50er Jahren auf Atom gesetzt und war einst einer der größten Produzenten. "Wir sind technisch zum Start bereit", signalisierten sofort die Energieunternehmen Enel und Edison. "Vorurteilslos und ohne Tabu", so sehe sich Brüssel Berlusconis Plan an, weiß der rechtsliberale "Corriere della Sera" bereits von dem EU-Kommissionspräsidenten Jos&; Manuel Barroso zu berichten. Nach einer in Nizza getroffenen Vereinbarung vom Herbst 2007, als noch Romano Prodi Italiens Regierungschef war, arbeitet Enel in Südfrankreich gemeinsam mit dem Stromriesen EDF an dem neuen Europäischen Druckwasserreaktor (EPR). Frankreich, Europas Klassenprimus, wenn es um den Atomstrom geht, ist sowieso Silvio Berlusconis Wunschpartner. "Seit Tschernobyl hat es keine schweren Vorkommnisse gegeben", hatte Berlusconi schon im Wahlkampf gesagt und daran erinnert, "dass Energie in Italien doppelt so teuer wie in Frankreich ist". Nur die Atomkraftwerke produzierten "Energie auf sichere, wettbewerbsfähige Weise und mit Rücksicht auf die Umwelt", assistiert ihm der zuständige Minister vor den Arbeitgebern. Für "glaubwürdige" Lösungen beim Atommüll will Scajola sorgen. Das alles wird aber Zeit brauchen, rechnet die römische "La Repubblica" vor - und erwartet die Meiler 2019 am Netz. Ein Aufschrei der Kritik und Empörung geht jedenfalls durch das Italien, das sich der Umwelt verschrieben hat oder in Opposition zu dem 71-jährigen Medienzar und Milliardär steht. "Wer soll denn die Milliarden für die neuen Atommeiler bezahlen?", so die Gegner der Rückkehr wie etwa die Organisation Legambiente. Der WWF warnt davor, Italien werde statt von Erdöl künftig von Uran abhängig sein. Und Greenpeace nennt die Regierung "arrogant", weil sie den Volkswillen des Referendums von 1987 einfach ignoriere. Das Anti-Atom-Votum habe nur die damalige Regierung gebunden, erklärt der Verfassungsrechtsexperte Stefano Merlini aus Florenz: "Es gibt kein juristisches Hindernis für den Atomstrom." Unterdessen hoffen die Italiener nur, dass Berlusconi es richtig macht und irgendwann keine gigantischen Stromausfälle mehr drohen. So wie im Jahr 2003, als im ganzen Land die Lichter ausgingen.

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