Betriebe machen sich Sorgen Wirtschaft fordert schnelle Entscheidung

Frankfurt/Berlin · Unternehmen und Märkte mögen keine Unsicherheit. Nach der Bundestagswahl ruft die Wirtschaft deshalb zu einer raschen Regierungsbildung auf.

 Deutschland ist vor allem vom Export abhängig und braucht eine fortschrittliche Industrie. Die Wirtschaft fordert deshalb dringend Investitionen in Zukunftsfelder.

Deutschland ist vor allem vom Export abhängig und braucht eine fortschrittliche Industrie. Die Wirtschaft fordert deshalb dringend Investitionen in Zukunftsfelder.

Foto: dpa/Ingo Wagner

(/) Nach der Bundestagswahl dringt die Wirtschaft auf eine rasche Regierungsbildung und einen Investitionspakt. Mit Blick auf mögliche Gespräche über ein „Jamaika“-Bündnis mahnten Verbände gestern Stabilität an – sahen in Schwarz-Gelb-Grün aber auch Chancen fürs Land.

„Wir brauchen in diesen schwierigen Zeiten eine stabile Regierung“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer. Er forderte einen Koalitionsvertrag für mehr Investitionen. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland sei gut. Aber Betriebe machten sich Sorgen: „Auf vielen wichtigen Zukunftsfeldern registrieren die Unternehmen mehr Stillstand als Aufbruch.“ Auch BDI-Präsident Dieter Kempf sprach von schwieriger Regierungsbildung und Herausforderungen durch ein Parlament aus sieben Parteien. Der Industrie-Chef appellierte an sie, die Lage schnell zu sondieren und konzentriert Verhandlungen über tragfähiges Kabinett aufzunehmen.

Schweitzer und Kempf warnten vor Ausländerfeindlichkeit. Dies könne sich die Wirtschaft „nicht ansatzweise erlauben“, sie sei auf Fachkräfte von außen angewiesen, so der DIHK-Chef. Ein „Rückzug ins Nationale ist für unser Land keine Alternative“, warnte Kempf: „Die AfD ist im Kern gegen das, was Deutschland stark gemacht hat.“

Auch zwei Chefs von Dax-Konzernen reagierten ungewöhnlich offen auf die politische Entwicklung. VW-Chef Matthias Müller nannte das Ergebnis der Bundestagswahl einen „historischen Einschnitt“: „Die alten Volksparteien verlieren dramatisch. Gleichzeitig wird die rechtsextreme und ausländerfeindliche AfD drittstärkste politische Kraft im Bundestag.“ Deren zweistelliges Ergebnis sei „schockierend“. Ähnlich äußerte sich Siemens-Chef Joe Kaeser. Mit der AfD habe es eine „national-populistische Partei fulminant ins Parlament geschafft. Das ist auch eine Niederlage der Eliten in Deutschland.“ Die Wähler der Partei seien als am Rande der Gesellschaft stehend abgetan worden. „Es muss die Aufgabe (...) sein, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, einzubinden und ihnen Perspektiven zu geben.“

Im Saarland sieht die Vereinigung Saarländischer Unternehmensverbände wieder Chancen für „mehr Wirtschaft“. Die Politik müsse die Arbeitszeit modernisieren, die Sozialabgaben bei 40 Prozent deckeln, der Altersversorgung eine neue Zukunft geben und die Tarifautonomie schützen, sagte VSU-Präsident Oswald Bubel. „Wir wünschen uns ein liberales und weltoffenes Deutschland. Diese Eigenschaften haben unser Land stark gemacht.“ Der Wirtschaftsverband der Familienunternehmer im Saarland bezeichnet eine mögliche Jamaika-Koalition als Chance. „Bei allen Differenzen zwischen CDU, CSU, FDP und den Grünen gibt es doch wichtige Punkte, in denen die vier Parteien das Land nach vorne bringen können“, sagte der Vorsitzende Wolfgang Herges.

Volkswirte von Großbanken sehen auch Risiken von „Jamaika“. Dekabank-Chefökonom Ulrich Kater sagte, ein solches Bündnis wäre „auf den ersten Blick nicht das beste Szenario, denn es bringt Unsicherheit – von der Wirtschaftspolitik bis hin zur Europapolitik“. Doch er betonte zugleich: „Auf den zweiten Blick bietet es jedoch auch Chancen, mit frischen Kräften Themen neu anzupacken.“ Ähnlich äußerte sich David Folkerts-Landau von der Deutschen Bank. Commerzbank-Experte Jörg Krämer glaubt: „Der Knackpunkt bei den Verhandlungen dürfte eher bei der Einwanderungspolitik liegen.“

Für die privaten Banken ist eine Koalition aus Union, FDP und Grünen „keine Notlösung“. Sie sollte vielmehr als Chance begriffen werden, meinte der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, Michael Kemmer: „Ein solches Projekt kann den Standort Deutschland stärken, denn zentrale Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Bildung und Integration würden sicherlich in den Mittelpunkt rücken.“

Das Handwerk beurteilte das Wahlergebnis mit gemischten Gefühlen. „Wochenlange oder gar monatelange Koalitionsverhandlungen bedeuten Stillstand und für die Wirtschaft eine Phase der Ungewissheit, wie es in der Steuer-, Wirtschafts-, Energie- und Arbeitsmarktpolitik weitergeht“, sagte Verbandspräsident Hans Peter Wollseifer.

„Jamaika“ berge aber auch „die Chance, Zukunftsthemen mit neuen Lösungsansätzen anzugehen und Deutschland einen Modernisierungsschub zu geben“. Es müsse jetzt das „Ziel der Parteien der Mitte sein, sehr zügig eine stabile Regierung zu bilden, auch wenn viele Positionen weit auseinanderliegen“, bekräftigte Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI). Der Rückstand bei Investitionen in Bildung, Digitalisierung und Verkehrsinfrastruktur lasse sich nur mit einem handlungsfähigen Kabinett bewältigen.

Auch der Maschinenbauverband VDMA forderte ein besseres Klima für Innovationen. „Wir brauchen ein klares Signal für einen digitalen Aufbruch, für Bildung und Forschung, eine innovationsfreundliche Steuerpolitik und vor allem Vorfahrt für Flexibilität und gute Ideen“, erklärte Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.

(dpa)
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