Wenn der Chef aus der Ferne kommt

Saarbrücken · Migranten sind im Saarland inzwischen als Rechtsanwälte tätig oder betreiben Internet-Plattformen. 18 000 Frauen und Männer sind mittlerweile in Unternehmen beschäftigt, in denen der Chef ein Ausländer ist.

 Claudio Azzaretto

Claudio Azzaretto

Foto: Becker & Bredel

Die Schreinerei Azzaretto aus Saarbrücken gehört schon zu den alteingesessenen Firmen an der Saar, die von jemandem gegründet wurde, der nicht in Deutschland geboren und aufgewachsen ist.

Sie ist eine von 5000 Firmen, die von Männern und Frauen mit ausländischen Wurzeln im Saarland gegründet wurden. Das geht aus einer gestern veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor. In diesen Unternehmen sind 18 000 Mitarbeiter beschäftigt. 2005 waren es erst 8000.

Calogero Azzaretto kam 1962 als Gastarbeiter ins Saarland, war bei Saarstahl beschäftigt. In seiner italienischen Heimat hatte er den Beruf des Schreiners ausgeübt, und am Ende seiner Schicht zog es ihn vom Stahl wieder zu seinem geliebten Werkstoff Holz. 1979 machte er seine eigene Schreinerei auf und hatte damit wohl ins Schwarze getroffen. Das Unternehmen wird inzwischen von Calogeros Söhnen Michele (44) und Claudio Azzaretto (39) geleitet. Beide sind schon in Deutschland geboren und gestandene Schreinermeister. Die "Azzaretto industrielle Holzmanufaktur" hat sich auf Innenausbau, Möbelbau und Ladenbau spezialisiert und beschäftigen 13 Mitarbeiter. Auf die ausländischen Wurzeln "werden wir nie angesprochen", sagt Claudio Azzaretto. "Wir gelten als saarländische Firma.". Auch ihre Mitarbeiter suchen sie nicht nach Nationalität aus, "sondern nach Können und Zuverlässigkeit".

Es ist längst nicht mehr so, dass Italiener nur Pizza-Restaurants oder Eisdielen betreiben oder Türken ausschließlich Kebab-Läden, wie aus der Bertelsmann-Studie hervorgeht. So gibt es in Saarbrücken einen türkischen Rechtsanwalt und einen Spanier, der einen Internet-Marktplatz für Online-Werbung betreibt. Ein Türke hat in Heusweiler einen Heizungsbau-Betrieb übernommen. In vielen Handwerksbereichen finden sich Unternehmer mit ausländischen Wurzeln, wie ein Blick auf die Mitgliederlisten der Innungen zeigt.

Auch die Neuankömmlinge aus den Kriegs- und Krisengebieten Syriens und des Iraks zieht es zum Teil ins Handwerk. Bei den Gewerken mit Meisterpflicht ist das aber schwierig. "Fast immer sind die Vorgaben nicht erfüllt, die dazu befähigen, den Beruf auszuüben", sagt Doris Clohs, die bei der Handwerkskammer (HWK) Saar für die Handwerksrolle zuständig ist. Allerdings gibt es ein Ausnahmebewilligungsverfahren. Wer sich das nötige Wissen aneignet und dies bei der HWK mit einem Sachkunde-Nachweis belegen kann, darf diesen Beruf ausüben. Einer der ersten mit diesem Nachweis ist ein Syrer, der in seiner Heimat Arzt war, in Deutschland aber Fladenbrote backen will. Das einzige Hindernis: Der in Syrien bestellte Backofen wartet im Hafen von Latakia darauf, verschifft zu werden.

Das große Interesse von Ausländern, sich als Unternehmer eine Existenz aufzubauen, schlägt sich auch an der wachsenden Zahl derer nieder, die an den Gründungskursen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Saar teilnehmen. Nach Angaben von IHK-Geschäftsführer Carsten Meier sind es inzwischen mehr als 20 Prozent.

Unterstützt werden sie vom IQ-Netzwerk Saar, das sich mit seinem mehr als 20 regionalen Partnern auf die Integration von Ausländern in die deutsche Arbeitswelt spezialisiert hat. "Wir haben einen eigenen Bereich für Firmengründungen", erzählt Netzwerk-Koordinator Wolfgang Vogt. Über mangelndes Interesse könne sich der zuständige Ansprechpartner Faruk Sahin nicht beklagen.

Meinung:

Es könnten noch mehr sein

Von SZ-Redakteur Lothar Warscheid

Ausländer werden inzwischen auch als Unternehmer immer erfolgreicher und schaffen zahlreiche Arbeitsplätze. Das hat die gestern veröffentlichte Bertelsmann-Studie einmal mehr deutlich gemacht. Die Alltags-Erfahrung vieler Menschen deckt sich mit dieser Erkenntnis. Es ist längst nicht nur der Pizza-Bäcker, der Döner-Verkäufer oder der Taxifahrer, die ausländische Wurzeln haben, sondern auch der Ingenieur oder der Arzt. Unser Bestreben sollte sein, dass es noch mehr werden. Denn die allermeisten Ausländer wollen in der neuen Heimat ihre Chance ergreifen und Fuß fassen. Das fällt umso leichter, je mehr Hilfe sie bekommen und je weniger bürokratische Hindernisse aufgebaut werden.

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